Das Energie-Vermächtnis: Vor fünfzehn Jahren, am 14. Juni 2008, verunglückte der schwedische Pianist Esbjörn Svensson tödlich. Und immer noch trauert die Jazzwelt. Doch Svenssons Musik strahlt nach wie vor eine aktuell gebliebene Kraft aus.
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Musik, die anders war. Das Trio e.s.t. – so die Abkürzung für Esbjörn Svensson Trio – brachte nicht einfach nur "frischen Wind" in den Jazz, sondern gleich eine völlig neue Temperatur. Das Wort "Jazz" war dafür eigentlich zu eng. Oft sprach man von Rockmusik mit Jazz-Instrumenten oder von Jazz mit dem Gestus von Rock. Jedenfalls erreichte dieses Trio aus Schweden, das in den 1990er-Jahren gegründet worden war, auch ein Publikum, das nicht bereits im "Jazz" zu Hause war. Denn die Musik der Band hatte kantigen Groove, griffige Melodien und verwendete durch leichte elektronische Verfremdungen Klänge, die man so noch nicht kannte, in einer Besetzung mit Klavier, Bass und Schlagzeug – der klassischen "Klaviertrio"-Besetzung des Jazz. Der Pianist Esbjörn Svensson war das Zentrum, vielleicht auch "die Seele", des Trios. Nach seinem plötzlichen Tod führten die beiden verbliebenen Band-Mitglieder, Schlagzeuger Magnus Öström und Bassist Dan Berglund, die gemeinsame Unternehmung nicht mehr fort.
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Esbjörn Svensson ist im Geiste von Fans und einstigen Mitstreitern noch stark präsent. Ende 2022 feierte nicht nur das deutsche Plattenlabel "ACT Music", das Svenssons Karriere intensiv begleitet hatte, die Entdeckung bisher unbekannter Musik von ihm, sondern auch die internationale Fachpresse. Unter dem Titel "HOME.S" erschienen Aufnahmen, die Esbjörn Svenssons Witwe Eva Svensson auf einer Festplatte entdeckte, die Jahre in einem Schrank geschlummert hatte, weil es für Eva Svensson zehn Jahre lang "unmöglich war", wie sie sagte, die Aufnahmen aus dem Nachlass ihres Mannes durchzugehen. Irgendwann aber wagte sie es. Und fand Solo-Aufnahmen, die sie bisher nicht kannte. Zusammen mit dem Toningenieur Ake Linton hörte sie sie und klärte ab, ob sie in irgendeinem Aufnahmestudio entstanden sein konnten, oder ob Svensson sie in seinem Studio zuhause im Keller selbst eingespielt hatte. Sie kamen zu dem Ergebnis: Es waren Aufnahmen aus dem Keller zuhause, Esbjörn Svenssons Basement Files sozusagen. Insgesamt 36 ½ Minuten Musik enthält das daraus entstandene Album. Laut Eva Svensson und Ake Linton gab es darin keine Veränderungen der Musik, keine Schnitte, keine Änderung der Reihenfolge. Es sei alles wie ein fertiges Album gewesen, erinnerte sich Linton gegenüber BR-Klassik.
Ein Gruß aus dem Jenseits – auch für die Fans. Ein besonders inniger Gruß: ein für Viele sehr willkommener Anlass zum Sich-neu-Erinnern.
Fast ein Vierteljahrhundert ist es her, dass e.s.t. mit einem neuen Album europaweit bekannt wurde. Denn im Jahr 1999 erschien das Album "From Gagarin's Point of View" international. Es markierte einen Aufbruch. Einen ganz neuen Stil im Jazz. Die Musiker kannte man damals noch nicht. Aber sehr bald wurden sie berühmt. Esbjörn Svensson Trio nannten sie sich damals noch, später kürzer e.s.t., auch weil sie unterstreichen wollten, dass sie gleichberechtigte Musiker waren und nicht einer dem ganzen Trio den Namen geben sollte. Auf dieser CD waren Stücke enthalten wie "Dodge the Dodo": Mit einem fast manisch vorwärtstreibenden Rhythmus und einem griffigen Klavierthema definierte dieses Stück einen ganz neuen Puls in der Geschichte jazziger Klaviertrios. Mit Sounds wie diesem und mit Stücken von enormer lyrischer Schönheit – wie etwa dem Titelstück "From Gagarin’s Point of View" - schaffte es dieses Trio in den Folgejahren nicht nur, in Europa besonders viel und vor allem auch jüngeres Publikum anzusprechen. Die drei Schweden kamen mit ihrer Musik 2006 auch auf das Titelblatt des amerikanischen Jazzmagazins "Downbeat" – und zwar als erste europäische Jazzgruppe.
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e.s.t. "Dodge the Dodo" with Pat Metheny
Das Esbjörn Svensson Trio (von links nach rechts: Magnus Öström, Esbjörn Svensson und Dan Berglund) | Bildquelle: ACT / by Jim Rakete Sie waren ein Team: der sportlich-feingliedrige Esbjörn Svensson, einst mit langem, glattem Haar, das von einem Stirnband gehalten wurde, und später mit in der Bühnenhitze praktischerem Bürstenhaarschnitt; dann der Fels in der Mitte, der stämmige Dan Berglund, dessen mächtige Glatze immer ein optischer Fixpunkt auf der Bühne war; und schließlich der stille, stets genussvoll schmunzelnde Magnus Öström am Schlagzeug; derjenige, der in den späten Jahren des Trios der einzige mit wirklich sichtbarem Haupthaar war. Sie sahen anders aus als viele Jazzmusiker, und sie klangen auch anders. Svensson und Öström hatten seit ihrer Rockmusik-beflügelten Jugendzeit eine gemeinsame Vorstellung von Drive. Und Bassist Dan Berglund brachte, als er später hinzukam, die besonders wuchtige Energie und die gelegentlichen Klang-Querbezüge zu Heavy-Metal-artigem Soundgewitter mit hinein.
Man merkte, dass diese Musiker nicht nur aus der Welt des Jazz kamen, sondern einen anderen Horizont absteckten. Esbjörn Svensson hörte in früher Jugend besonders gern die Popmusik von englischen Teenie-Idolen wie "Sweet" und "Slade", zugleich entdeckte er durch seine Mutter, die sehr gut Klavier spielte, die Musik von Chopin und Liszt. Und erst später erschloss er sich diejenige Musik, die sein Vater dauernd hörte: die Musik von Saxofonist Charlie Parker. Esbjörn Svensson mochte diese Musik zunächst gar nicht, aber immerhin die Hüllen der Jazzplatten fand er cool. Mit 15 schließlich stöberte er in Vaters Platten herum, und ein Stück, das ihm besonders gefiel, war "Confirmation" - das er dann aus dem "Real Book" selber nachspielte.
Esbjörn Svensson wollte zunächst am liebsten Schlagzeuger werden. Aber sein Freund Magnus Öström war schneller. Er, dessen Vater Maler – also Wandmaler – war, hatte sich schon früh aus alten Farbeimern ein Drumset zusammengebaut und später dann auch ein richtiges bekommen. Er und Esbjörn Svensson machten zusammen Musik in einer Band, die "Beware of the Beginners" hieß. Da Esbjörn Svenssons Mutter Pianistin war, wurde der Sohn früh an Tasteninstrumente herangeführt. Und in der Band mit Öström spielte er zunächst Orgel. Als Jugendlicher wurde Esbjörn Svensson übrigens, wie Magnus Öström erzählt, aus einer Musikschule geworfen, weil der betreffende Lehrer fand, Esbjörn habe kein Talent.
Die große internationale Erfolgsgeschichte des Trios, das sich später nur noch e.s.t. nannte, dauerte nur rund zehn Jahre. Dann verunglückte der Pianist Esbjörn Svensson tödlich in den Schären bei Stockholm. Nach dem, was später rekonstruiert wurde, trug Svensson einen Trockentauchanzug und geriet in Panik, als dessen Luftleitung sich löste. Svensson kam nicht mehr nach oben, wurde bewusstlos auf dem Grund geborgen und starb im Krankenhaus.
2018 ließ das Plattenlabel ACT zum zehnten Jahrestag von Esbjörn Svenssons Tod mit einer bis damals unveröffentlichten Live-Aufnahme die Musik des Esbjörn Svensson Trios nochmal aufleben. Sie stammte vom 20. Mai 2005 aus dem Londoner Barbican Centre und füllt eine Doppel-CD mit dem Titel "e.s.t. live in london". 2005 war eine Hochphase des Trios. Die Konzerte der damaligen Zeit waren von einer enormen Intensität. Etwa im Jahr davor war das auch bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen festzustellen. Stücke wie "When God created the coffeebreak", "Eighty-eight days in my veins", "Viaticum" oder auch "Believe", beleft, below" spielte die Band bei dem Konzert in London in ausgreifenden Versionen, die oft um die zehn Minuten dauern – und entfaltete eine enorme Energie, zumal etwa in der Nummer "Mingle in the Mincing Machine", auf der der Kontrabass von Dan Berglund durch elektronische Zusatzgeräte plötzlich an einen E-Gitarren-Sound wie von Jimi Hendrix erinnert. Die Doppel-CD stieg 2018 innerhalb weniger Wochen in die Top 20 der Pop-Album-Charts.
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Esbjörn Svensson Trio (Seven Days Of Falling/Elevation of Love)
Auch BR-Klassik hat nicht nur die Karriere Esbjörn Svenssons aufmerksam verfolgt, sondern auch alles, was nach 2008 über den Musiker veröffentlicht wurde. 2016 war der Schlagzeuger und Jugendfreund Svenssons, Magnus Öström, im Studio der Jazzredaktion von BR-Klassik. Öström rang auch da immer noch mit Worten, als die Sprache auf Esbjörn Svenssons Tod kam. Und dann sagt er: "Wir waren so lange zusammen, sind miteinander aufgewachsen. Wir waren noch mittendrin in unserer gemeinsamen Geschichte. Und plötzlich wird alles von dir weggerissen. Ein harter Schlag. Die Nachwirkungen davon trägt man dann später immer mit sich herum. Aber man muss dann lernen, damit zu leben."
Esbjörn Svenssons Witwe Eva, die gut zehn Jahre lang den musikalischen Nachlass ihres Mannes nicht anrührte, antwortete im November 2022 gegenüber BR-Klassik auf die Frage nach ihren Gefühlen beim ersten Hören der neu entdeckten Solo-Aufnahmen wie folgt: "Es waren sehr gemischte Gefühl. Als die Musik begann, hörte ich natürlich sofort, dass es Esbjörn war. Nach so langer Zeit etwas von ihm zu hören – und etwas Neues, das ich noch nicht kannte -, das war einerseits wundervoll: eine Stimme zu hören, die man wiedererkennt; und andererseits war es schwierig, weil es den erlebten Verlust wieder präsent machte." Ob es schmerze, diese Musik zu hören: "Nein! Ich liebe diese Musik. Ich finde sie wunderbar. Inzwischen bereitet die Erinnerung an alles, was mit Esbjörn zusammenhängt, seine Arbeit, seine Musik, unser gemeinsames Leben, keine Schmerzen mehr. Natürlich kommen immer wieder Schübe von Trauer, aber die bleiben nicht. Was bleibt ist, dass ich dankbar bin über die Zeit, die wir miteinander hatten." Für sie sei die Musik ihres Mannes "eine Stimme, die von Hoffnung spricht, von Liebe, von Freude – und eine, die jemanden aufbauen kann. Und zum Kreativ-sein anregt, dazu, die eigene Kreativität zu nutzen. Denn diese Botschaft steckt für mich drin: Geh weiter, probier‘ was aus, mach Erfahrungen, brich auf zu einer Reise." Svenssons Musik lädt bis heute erfolgreich dazu ein, sich der Entdeckerfreude hinzugeben.
Ich liebe diese Musik
Jazztime
Donnerstag, 14. Juni 2023, 23:05 Uhr
Zum 15. Todestag des schwedischen Pianisten und Komponisten Esbjörn Svensson
Das Esbjörn Svensson Trio beim Festival Jazz Ost-West
Aufnahme vom am 2. November 2000 in der Tafelhalle in Nürnberg
Moderation und Auswahl: Beate Sampson