Sein Ton ist unverkennbar: Geschliffen, kristallklar und von durchsichtiger Kraft. Vibraphonist Gary Burton hat seinem Instrument neue Klangdimensionen verliehen. Seit März 2017 schweigt das Instrument - er hat seine Karriere beendet. Am 23. Januar feiert der US-Amerikaner in aller Ruhe seinen 75. Geburtstag.
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Es sieht mühelos aus: Vier Schlägel tanzen über Metallplatten - alles perlt und färbt sich verführerisch und ist spanisch angehaucht. Sehnsuchtsklänge - Gary Burton am Vibraphon im Jahr 2011 bei der Internationalen Jazzwoche in Burghausen zusammen mit Pianist Chick Corea. "La Fiesta" heißt dieser Ohrwurm von Corea und beiden nähern sich fein-verzahnt dem Thema an. Sie spielen sich Themen-Passagen zu, jonglieren mit den Tönen, wirbeln sie durcheinander, Dissonanzen werden eingestreut, Phrasen des jeweils anderen paraphrasiert, perfekt im interaktiven Austausch - eine Sternstunde der Improvisationskunst.
Gary Burton, eine der Lichtgestalten am Vibraphon, feiert am 23. Januar 2018 seinen 75. Geburtstag - weder mit einem großen Konzert noch mit einem Festivalauftritt oder einer Gastspielwoche in einem New Yorker Jazzclub. Gary Burton tritt nicht mehr auf - er hat seine vier Schlägel an den Nagel gehängt.
Wir haben so viele Elder Statesman des Jazz gesehen, die den Punkt weit überschritten haben, noch halbwegs anständig zu spielen und niemand wird es ihnen sagen.
...sagt Gary Burton in einem Kurz-Dokumentarfilm, der für das National Public Radio entstand. Darin wird der Vibraphonist bei seinen letzten Konzerten begleitet. Eindrücklich, ganz nah an der Person und trotzdem ohne indiskret zu sein, zeigt dieser Film einen Jazzstar, der einen großen Schritt gehen wird. Am Anfang dieses Karriereendes stehen massive gesundheitliche Probleme: Ein dreißigminütiger Herzstillstand. Burton wurde wiederbelebt und kam langsam wieder zu Kräften. Aber er bemerkte, dass er sein absolutes Gehör verloren hatte. Das war ein schwerer Schock für Burton und er traf nach ausführlichen Überlegungen die Entscheidung seine Konzertaktivitäten aufzugeben.
Angefangen hatte alles Ende der 40er Jahre. Gary, am 23. Januar 1943 in Anderson, Indiana, geboren, begann mit dem Klavierspiel und vertiefte es in der High School. In dieser Zeit erlernte er autodidaktisch Vibraphon. "Es erschien mir als ein einfaches Instrument, das man leicht lernen konnte", sagte Burton 2011 in einem Interview in Burghausen.
Mit welcher Finesse und Ausgereiftheit man dieses "einfache" Instrument spielen konnte, zeigte Gary Burton eindrücklich in den folgenden 57 Jahren. Sein Plattendebüt gab er mit 17 in der Country-Metropole Nashville - die ersten Aufnahmen von Burton sind deutlich Country-gefärbt. Er spielte mit Gitarrist Chet Atkins, ging mit Pianist Georg Shearing auf Tour und begleitete zwei Jahre lang Saxophonist Stan Getz. Aber er war zeitgleich auch immer als Bandleader tätig und hatte unterschiedliche Gruppen - unter anderem mit den Gitarristen Larry Coryell und Pat Metheny.
Bildquelle: picture-alliance/dpa 1972 kam es in München zu einer einschneidenden Begegnung: Hier traf Gary Burton auf Pianist Chick Corea, wie in 2011 in Burghausen erzählte: "Wir hatten das Duo überhaupt nicht geplant. Ein bisschen haben wir in anderen Bands zusammengespielt, aber mehr nicht. Wir traten beide bei einem Festival in München auf und der Veranstalter fragte alle Musiker des Abends, ob sie nach den Konzerten zu einer Jam-Session kommen würden. Es stellte sich heraus, dass nur zwei Leute 'ja' gesagt hatten: Chick und ich. Wir lachten, amüsierten uns und beschlossen, ein Duett zu spielen. Beim Soundcheck probierten wir ein Stück aus und das Publikum fand das dann ganz toll. Das brachte uns auf die Idee, eine Aufnahme zu machen und wir kamen ein halbes Jahr später wieder nach Europa und nahmen das Album 'Crystal Silence' auf. Das war 1972. Danach bekamen wir Konzertanfragen und seither machen wir das." Duo-Formationen faszinierten den Vibraphonisten. Zusammen mit den Pianisten Makoto Ozone, Paul Bley und natürlich Chick Corea spielte Burton oft, aber auch mit Gitarrist Ralph Towner und Bassist Steve Swallow.
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Immer wieder entlockte er den schwingenden Metallstäben neue Klangfarben. Er revolutionierte die Spieltechnik auf diesem Instrument, da er vier statt zwei Schlägel verwendete. Mit der doppelten Anzahl an Mallets, wie die Schlägel auch genannt werden, konnte er vierstimmige Akkorde spielen - so fungierte das Vibraphon als echtes Begleitinstrument.
Er gewann insgesamt sieben Grammys, veröffentlichte als Bandleader mehr als fünfzig Alben und trat in 74 Ländern der Welt auf. 2013 erschien seine Autobiographie "Learning to listen". In seinem letzten Ensemble versammelte er eine jüngere Generation von herausragenden Jazzern um sich, wie den Schlagzeuger Antonio Sanchez, den Bassisten Scott Colley und den Gitarristen Julian Lage. Über seinen früheren Bandleader erzählt der damals erst 16-jährige Lage:
"Gary ist einer der kreativsten, einfallsreichsten und fesselndsten Improvisatoren und Bandleader. Alles was er spielt, ist einfach perfekt. Es ist anregend und frei, aber gleichzeitig sehr präzise. Er ist der ultimative Künstler. Seine Musik ist voller Emotionen und er lässt seinen Mitmusikern sehr viel Freiraum. Mit Gary zu spielen ist großartig: Du hast Freiheiten und wirst herausgefordert. Er bringt das alles zusammen und macht etwas sehr einheitliches und kraftvolles daraus."
Seine Musik ist voller Emotionen.
Im Frühjahr 2017 gab Burton seinen Rückzug von der Bühne bekannt und sorgte damit für großes Aufsehen. Das tat Burton schon einmal mit einer Nachricht: 1994 outete er sich in einem Interview mit dem National Public Radio als schwul. "Natürlich spiegeln sich dein Gemütszustand und deine Emotionen irgendwie in deinem Spiel. Wenn ich heute meine früheren Aufnahmen anhöre, klingen sie weder kalt noch gefühllos. Aber ich kann sagen, dass ich nach meinem Coming out ein größeres Gefühl für Freiheit habe, wenn ich spiele", sagte Burton dem Miami Herald.
Im März 2017 spielte Gary Burton seinen letzten öffentlichen Ton: "Bags Groove", eine Komposition der Vibraphonlegende Milt Jackson war sein letztes Stück. Den Schlusston überlässt er seinem Duo-Partner Makoto Ozone. Burton lächelt versonnen ins Publikum - das wars. Seine Musik aber klingt weiter - er hat sein Vermächtnis im Jazz hinterlassen. Jetzt lebt er in Florida, sammelt Bonsai-Bäume und feiert seinen 75. Geburtstag ganz in Ruhe.
Ich bin gespannt darauf, neue Richtungen einzuschlagen.
Classic Sounds in Jazz am 24. Januar 2018
Musik zur Dämmerung
Jazziges und Klassisches von Trompeter Till Brönner und Kontrabassist Dieter Ilg aus ihrem neuen Duo-Album "Nightfall" und aus früheren Aufnahmen der beiden Ausnahmemusiker. Sowie Musik des südafrikanischen Trompeters Hugh Masekela und des Vibraphonisten Gary Burton.
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer