In Corona-Zeiten haben Jazz-Alben einen neuen Stellenwert erhalten: Nicht in Konzerten erreichen Musikerinnen und Musiker ihr Publikum, sondern mit Aufnahmen. Wir stellen in der zweiten Sendung dieser Reihe vier besondere CDs vor.
Bildquelle: ECM Records
Jazztime - 09.02.21
Hören wir Gutes Vol. 2 - gekürzte Version
"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 2" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über die hier folgenden vier Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Der israelische Pianist Shai Maestro (geboren 1987) gehört zu den international inzwischen profiliertesten Pianisten des zeitgenössischen Jazz. Bekannt wurde er vor mittlerweile 14 Jahren im Trio des Bass-Virtuosen Avishai Cohen. In seinem eigenen Trio mit Jorge Roeder am Bass und Ofri Nehemya am Schlagzeug hat Shai Maestro bereits 2018 mit der CD "The Dream Thief" ein Meisterstück an fein gearbeiteter Schönheit vorgelegt. Jetzt hat er das Trio zu einem Quartett aufgestockt - mit dem amerikanischen Trompeter Philip Dizack (geboren 1985). "Sein Ton und seine Art zu spielen sind wie eine menschliche Stimme, die zu einem spricht", sagt Shai Maestro über den Trompeter. Und es ist wahr: Innig und mit vielen Schattierungen "spricht" Philip Dizack zum Publikum dieser CD, mal ganz zerbrechlich, mal leuchtend pointiert. Das Titelstück, "Human", ist wie eine leise Beschwörung menschlicher Empfindsamkeit. Ein Kabinettstück ist die Version des Duke-Ellington-Klassikers "In a Sentimental Mood": Aus kleinen rhythmischen Leuchtpunkten setzt sich allmählich die bekannte Melodie zusammen und verschafft beim Hören einen Aha-Effekt, der sich zu einem großen musikalischen Vergnügen weitet.
Bildquelle: OUTSIDE IN MUSIC Der amerikanische Saxophonist Randal Despommier lebt in New York und stammt aus New Orleans. Mit 38 Jahren legt er sein Debütalbum als Bandleader vor und fächert darauf zusammen mit seinem Quartett und musikalischen Gästen in insgesamt acht Kompositionen - davon sechs eigenen - seine facettenreiche, musikalische Persönlichkeit auf. Im singenden, leicht schattierten Ton knüpft er dabei ans Klangideal von Paul Desmond, an anderer Stelle aber auch am Sound von John Coltrane an, den er auf sein Altsaxophon überträgt. Im Titelstück der CD "Dio c´è" kombiniert er melodiösen Modern Jazz mit einem Vokalensemble, für das er eine jazzige Annäherung an Gregorianik und Gospel komponiert und arrangiert hat. Frisch klingt seine Musik, hat eine wunderbar tänzelnde Qualität und viel untergründig mitschwingenden Soul.
Bildquelle: Challenge Records
Diese beiden kennen sich, das merkt man nach wenigen Tönen. Sie sind vertraut miteinander. Aber sie haben auch den Mut und die Lust, sich gegenseitig herauszufordern.
Der belgische Trompeter Bert Joris und der italienische Pianist Enrico Pieranunzi, zwei europäische Spitzenjazzer, begeben sich auf ihrem neuen Album "Afterglow" in einen kompromisslosen, intensiven und durchweg hinreißenden Dialog. Beide blicken schon auf eine erfüllte Karriere zurück: Sie haben mit Legenden gespielt, waren weltweit auf Tournee, haben gelernt und gelehrt. All diese Erfahrungen spürt man in ihrem Zusammenspiel, aber beide haben sich eine Neugier und Spiellust bewahrt. Mal swingen die Kompositionen auf "Afterglow", mal erinnern sie an alte Kirchenlieder, mal haben sie eine süffige Melodie, mal einen kantig-abstrakten Groove. Bert Joris und Enrico Pieranunzi, zwei, die sich wirklich etwas zu sagen haben. So einem Gespräch lauscht man gerne!
Bildquelle: Edition Records "Cairn" heißt "Steinhügel". Und Steinhügel auf den britischen Inseln sind schlichte und gleichzeitig rätselhafte Phänomene, die oft in eine weit entfernte Vergangenheit weisen. Gut gewählt, dieses Wort als Titel einer CD. Denn sofort scheinen die Töne des jungen schottischen Pianisten Fergus McCreadie (geboren 1997) dadurch eine schimmernde Aura von grüner Weite, karger Schönheit und Unergründlichkeit zu erhalten. Das passt zu ihnen. Fergus McCreadies Trio (mit David Bowden, Bass, und Stephen Henderson, Schlagzeug) macht Musik, die stark von fast archaisch wirkenden Melodien und sinnlichen, leicht fassbaren Rhythmen geprägt ist. Dadurch haben die Stücke, allesamt Eigenkompositionen des Pianisten, etwas besonders Zugängliches und Geheimnisvolles zugleich. Musik mit Charme und Drive - und beide mitreißend. McCreadie hat sich viel von der schottischen Landschaft und der Folk Music inspirieren lassen. Das spürt man, und das hört man. Es ist nuancenreich gespielte, klanglich reizvolle Musik, die einen sofort anspringt und in ihrer Klarheit und musikalischen Direktheit weit weg ist von gewohnten Jazz-Klaviertrio-Klängen. Ob man nun dem Plattenlabel folgen will, das Vergleiche mit den ungewöhnlichen Trios "E. S. T." und "The Bad Plus" anstellt, oder nicht, eines steht fest: Diese jungen Schotten erschaffen einen frischen Sound, für den man keineswegs bereits Jazzfan sein muss. Klavier allerdings sollte man mögen. Und so, wie es hier klingt, wird man das auch.
Jazztime: News & Roots am 09. Feburar 2021
Hören wir Gutes und reden darüber!
Aktuelle Jazzalben, vorgestellt und diskutiert von Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer