Ein Fenster zu öffnen für Musiker und Fans: Das will das Bayerische Jazzinstut mit seiner Veranstaltung "Jazzfest Fridays". Dessen Leiterin Sylke Merbold ist hier in der BR-Klassik-Reihe "Im Gespräch mit …" zu hören.
Bildquelle: Sylke Merbold
Jazztime - 03.08.2020
Im Gespräch mit Sylke Merbold vom Bayerischen Jazzinstitut - Podcast
Seit 2011 leitet die studierte Amerikanistin und Germanistin Sylke Merbold das Bayerische Jazzinstitut Regensburg. Sie hat dabei unter anderem die Federführung beim jährlich stattfindenden Bayerischen Jazzzweekend. Im Corona-Jahr 2020 musste dafür eine Alternative gefunden werden. Diese Alternative nannte Sylke Merbold "Jazzfest Fridays". Seit dem 17. Juli gibt es an einem kleinen Veranstaltungsort, dem Kulturcafé Degginger im Zentrum Regensburgs, Konzerte junger Bands: ohne Publikum im Saal, aber dafür werden diese Konzerte gestreamt und sind auch danach per Video abrufbar. Zudem zeichnet BR-Klassik an den vier ersten Freitagen der Serie alle Bands für den Hörfunk auf. 487 Bewerbungen gab es dieses Jahr für das Bayerische Jazzweekend, bei dem normalerweise rund 30.000 Besucher Jazz an öffentlichen Plätzen und diversen anderen Veranstaltungsorten erleben.
Das Bayerische Jazzinstitut existiert seit 1992. Gründer dieses Instituts, das in seiner Anfangszeit auch eine Schriftenreihe herausbrachte (darunter die Lebensgeschichte des Trompeters Dusko Goykovich, "Jazz ist Freiheit"), war der Regensburger Richard Wiedamann (1932 bis 2011). Wiedamann stammte aus einer Zinngießer-Familie mit eigenem Geschäft, das er auch nach dem Verkauf der Produktion 1975 weiterführte. Daneben war er als Musiker aktiv, er leitete ein eigenes Jazzensemble und führte auch eine Zeitlang einen eigenen Jazzkeller. Von 1980 an war er Leiter der Städtischen Sing- und Musikschule Regensburg und er gründete das Landesjugendjazzorchester Bayern (1987). Das Bayerische Jazzinstitut ist seit seiner Gründung in Wiedamanns Geburtshaus in der Brückstraße 4, einen Steinwurf von der Steinernen Brücke entfernt, untergebracht. Ende des Jahres muss das Jazzinstitut dieses Domizil verlassen und in neue Räume ziehen.
Trompeter Florian Brandl mit jungem Jazzfan beim Jazzweekend Regensburg 2016 | Bildquelle: Ssirus Pakzad Seit 2002 ist Sylke Merbold beim Bayerischen Jazzinstitut beschäftigt. Davor arbeitete sie als Journalistin in einem Internet-Magazin. Zuvor hatte sie sich als Fahrerin von Abschleppwagen im Betrieb ihres Vaters ihr Studium der Amerikanistik, Germanistik und Politischen Geographie finanziert. Sie arbeitete an Veröffentlichungen des mit spannenden historischen Zusammenstellungen befassten Labels "Bear Family Records" mit. Schließlich lernte sie in einem Fach-Gremium den Jazzinstituts-Gründer Richard Wiedamann kennen, der sie alsbald bat, ehrenamtlich eine Website für das Institut zu gestalten. Wiedamann baute sie nach einiger Zeit als seine Nachfolgerin auf. Als Richard Wiedamann 2011 verstarb, folgte Sylke Merbold ihm als Leiterin nach. Träger des Bayerischen Jazzinstituts ist der Verband der Sing- und Musikschulen. Das Bayerische Jazzinstitut wird gefördert sowohl vom Bayerischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das im Jahr 2019 den Gesamtbetrag von 134.200 Euro zuschoss, als auch von der Stadt Regensburg, von der das Institut aktuell 17.850 Euro pro Jahr als laufenden Zuschuss zur Miete erhält.
In Corona-Zeiten haben es freiberufliche Musiker besonders schwer, da viele von ihnen 2020 Monate lang keine Auftrittsmöglichkeiten hatten. Auf die Frage, was man tun könne, um den Musikern zu einem Auskommen zu verhelfen, sagt Sylke Merbold: "Ich glaube, dass es in diesem Fall nicht um die Finanzen geht. Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Viele stellen schon Unglaubliches auf die Beine. Und darauf hinzuweisen, auf Produktionen, die gerade gemacht werden, anstehende CD-Veröffentlichungen, das sind Themen, die uns beschäftigen, und das sind Themen, die wir auch jedes Jahr berücksichtigen." Weiter sagt sie: "Die Musiker wollen wahrgenommen werden. Wir nehmen sie wahr. Aber wir möchten auch ein Fenster öffnen, das kein Ersatz sein will für das Bayerische Jazzweekend, sondern tatsächlich eine Ergänzung, eine Erweiterung. Ich glaube, dass Deutschland jetzt gerade eine Entwicklung durchgemacht hat, für die es normalerweise zehn Jahre gebraucht hätte. Viele sagen jetzt: Diese neuen Live-Streams - wenn Corona vorbei ist, dann sind die auch vorbei. Das ist Unsinn. Wir verfolgen seit vielen Jahren die Live-Streams, die aus den USA kommen, die da schon lange laufen - und die uns die Möglichkeit geben, in die USA oder nach Dubai zu schauen, was dort gerade läuft, und die uns auch motivieren: Wenn ich tatsächlich in New York bin, dann geh ich auch in den Club. (…) Wenn es jetzt hier bei uns die Möglichkeit gibt, Musiker live zu erleben und vielleicht auch Fragen zu stellen im Chat: Warum sich das entgehen lassen?"
Eine Frage in der Sendung lautete: Was kann Jazz der Gesellschaft geben? Sylke Merbold: "Ich glaube: ein Stück Toleranz. Eine Lehre, dass ich es nicht unbedingt mögen muss, um fasziniert zu sein. Etwas, das mich vielleicht nicht sofort einfängt, fängt mich aber mit der Energie ein. Das erleben wir immer wieder beim Bayerischen Jazzweekend, wenn ich Leute da stehen sehe und Gesprächen zuhöre, die so nebenher stattfinden. Da gibt es dann Sätze wie: 'Ich versteh’s net, aber es is irgendwie geil'. So einen Satz zu hören, ist eine größere Freude als eine dezidierte Kritik zu hören - denn die kommt von Leuten, die sich sowieso damit beschäftigen. Aber Menschen einzufangen, Menschen dazu einzuladen, Live-Musik zu hören, auch vielleicht eine ein bisschen kritische Haltung zur generisch entwickelten Computermusik einzunehmen, ist etwas, das ich als Aufgabe sehe für uns alle. Und zwar Genre-übergreifend. Ich halte nichts von Scheuklappen."
3. August 2020: Jazztoday. Im Gespräch mit …
Sylke Merbold, Leiterin des Bayerischen Jazzinstituts Regensburg und Organisatorin des Bayerischen Jazzweekends, über ihre Arbeit und über ihre aktuellen Erfahrungen mit der Corona-Pandemie und der Alternativ-Veranstaltung "Jazzfest Fridays".
Moderation: Roland Spiegel