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Zum 100. von Joachim-Ernst Berendt Der streitbare Streiter des Jazz

"Jazz-Papst" wurde er genannt: Journalist, Festivalgründer, Plattenproduzent und noch vieles mehr war Joachim-Ernst Berendt. Am 20. Juli 2022 wäre er 100 Jahre alt geworden. Ein Gespräch mit Berendts engem Mitarbeiter Günther Huesmann, der Berendts prägendes Werk, "Das Jazzbuch", weiterschreiben durfte.

Joachim-Ernst Berendt | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Günther Huesmann, warum ist es wichtig, den hundertsten Geburtstag von Joachim-Ernst Berendt zu feiern?

Günther Huesmann: Er war der wichtigste Mann für den Jazz nach dem Zweiten Weltkrieg! Er hat auf vielerlei Ebenen dafür gesorgt, dass die improvisierte Musik im Bewusstsein der Deutschen angekommen ist. Die Jazzmusik wurde von den Nazis verfemt. Berendt hat die Aufgabe wahrgenommen, den Deutschen den Jazz nahezubringen.

BR-KLASSIK: Hatte Joachim-Ernst Berendt auch eine Bedeutung über den Jazz hinaus?

SWR-Jazzredakteur Günther Huesmann | Bildquelle: SWR SWR-Jazzredakteur Günther Huesmann | Bildquelle: SWR Günther Huesmann: Selbstverständlich, weil er von Anfang an einen Schwerpunkt gesetzt hat. Für ihn ist Jazz nicht ein Appendix der Show-Branche. Für ihn ist Jazz keine Musik, die im Hintergrund säuselt. Für ihn ist der Jazz eine dezidiert politische Musik. Berendt hat die Gräuel der Nazizeit erlebt. Sein Vater war Pfarrer, ein Mitarbeiter der Bekennenden Kirche, der von den Nazis im KZ Dachau ermordet wurde. Berendt hat es als Aufgabe begriffen, den Jazz als eine gesellschaftliche Kraft im Bewusstsein der Deutschen zu verankern. Für ihn war Jazz von Anfang an eine politische Musik - nicht erst seit dem Free Jazz. Eine Musik, die auf Individualität setzt, auf Gleichberechtigung, auf Freiheit, auf Selbstausdruck, auf Demokratie, auf Toleranz, auf Kulturaustausch. Das hat er von Anfang an erkannt - als einer der ersten in Deutschland. Er hat immer wieder gesagt: "wer swingt, marschiert nicht."

BR-KLASSIK: Was war er für ein Mensch?

Günther Huesmann: Er brannte für die Musik, er brannte für den Jazz. Er war mit einer solchen Leidenschaft dabei, dass er seine gesamte Zeit da reinsteckte. Er war ein streitbarer und ein sehr mutiger Mensch. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, gegen welche Widerstände Joachim-Ernst Berendt kämpfen musste. Der Jazz wurde damals als eine sehr minderwertige Musik angesehen. In vielen Köpfen der Deutschen geisterte noch das Bild vom "obszönen Neger-Jazz" herum, und das war einfach etwas, was ihn wirklich auf die Palme brachte. Er stritt für den Jazz, und zwar auf allen Kanälen. Er hat nicht nur über 10.000 Radiosendungen für den Südwestfunk gemacht. Er hat nicht nur die Berliner Jazztage initiiert und gegründet, das heutige Jazzfest Berlin. Er hat unzählige Jazzplatten produziert, über 130 für das legendäre Label MPS. Er hat das berühmte "Jazzbuch" geschrieben, das meistgelesene Buch über Jazz überhaupt. International ist er berühmt geworden dadurch. Er ist Kulturleute in der Politik angegangen und hat gesagt: "Dies ist eine Musik, die gefördert werden muss, die wertvoll ist für unsere Gesellschaft. Das ist eine Musik, die ein unglaubliches aufklärerisches Potenzial hat, die unsere Gesellschaft reflektiert und einen positiven Beitrag zur Demokratie leistet." Der Jazz ist für ihn die Kraft, die das alles symbolisiert und deswegen war er mit einer solchen Leidenschaft dabei.

BR-KLASSIK: Wie haben Sie Ihn kennengelernt?

Günther Huesmann: Ich war 17 oder 18, da habe ich das "Jazzbuch" gelesen und ich war entflammt. Ich war so begeistert, dass ich mich dann für ein Praktikum in der Redaktion von Joachim-Ernst Berendt beim SWF beworben habe. Das Praktikum fand wirklich statt, es begann allerdings mit einer kleinen Enttäuschung, weil Berendt in Urlaub war. Ich habe dann aber am Ende noch zwei Wochen mit ihm arbeiten dürfen. Diese zwei Wochen waren so intensiv, dass ich wirklich sagen muss, er ist in dieser Zeit zu meinem Mentor geworden. Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt. Zum Abschluss dieses Praktikums holte er mich in sein Büro und sagte: "Herr Huesmann, das ist alles ganz schön und gut, was Sie da machen, aber eines müssen sie wissen! Sie können sagen und schreiben, was sie wollen, aber eines muss es haben: Stil!" Er gab mir dann auch Tipps und sagte: "Wir sind hier Brückenbauer als Radiomenschen. Wir müssen Brücken bauen zwischen den Musikschaffenden und den Hörenden. Das ist unsere Aufgabe und das schaffen wir nicht, indem wir zum Fachchinesisch greifen oder uns im Spezialistentum verirren. Wir schaffen Orientierung. Dazu sind wir da. Machen Sie die Leute an. Emotionalisieren Sie! Jazz ist eine emotionale Musik. Haben Sie keine Angst vor den Emotionen!"

BR-KLASSIK: Ist das auch das Wichtigste, was Sie von ihm gelernt haben?

Joachim-Ernst Berendt | Bildquelle: SWR "Jazz-Papst" Joachim-Ernst Berendt | Bildquelle: SWR Günther Huesmann: Das Wichtigste war, das Neue zu wagen, das inkludiert auch das Emotionale. Er hat sich immer für Veränderungen eingesetzt, schon Anfang 1946. Damals kam der Bebop gerade auf und es gab Leute, die schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Die verteufelten diese Musik. Berendt war der erste in Deutschland, der sagte, das ist moderner Jazz. Das ist Kunstmusik. Das ist eine Musik, die wirklich im Konzert der Künste neben anderen Gattungen wie Ballett, Oper, Malerei, Literatur eine Rolle spielt-. Und so ging es dann weiter, der Cool Jazz kam auf, Berendt verteidigte ihn, der Free Jazz kam auf, Berendt produzierte eine der frühen Platten mit freiem Jazz. Er hat immer auf Veränderung und auf das Neue gesetzt. Ich finde, das ist vielleicht das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe: diese Offenheit. Das Leben wandelt sich ständig, sei offen dafür!

BR-KLASSIK: Einige seiner Werke sind ja auch sehr stark von einer Art Spiritualität geprägt. Ist diese Spiritualität wichtig für die Musik?

Günther Huesmann: Ja, klar! Die Spiritualität spielt sicher im Jazz auch eine große Rolle, angefangen bei der Gospelmusik. Berendts Wendung hin zur Spiritualität, das war Mitte der 80er-Jahre, war zumindest oberflächlich gesehen auch eine Loslösung vom Jazz. Er ging in Pension und widmete sich mehr spirituellen und philosophischen Fragestellungen mit dem Buch "Nada Brahma: Die Welt ist Klang". Das war im Grunde genommen die Verkündung einer Heils- und Glücksbotschaft, die hieß "verbinde dich hörend mit den Kulturen der Welt und und du wirst ein besseres oder glücklicheres Leben führen". Die Grundbotschaft stimmte sicher, allerdings hatte Berendt auch sehr viel Kritik einstecken müssen, teilweise zu Recht. Zur Stützung seiner Theorie zog er eine harmonikale Esoterik zu Rate, eine sehr weihevolle Stimmung und auch das ausschließliche Setzen auf das Hören und Berendts radikale Kritik am rational-westlichen Denken. Da war dann auch ein Punkt erreicht, wo ich selbst Schwierigkeiten hatte.

BR-KLASSIK: Gab es über diese Theorien auch Auseinandersetzungen zwischen Ihnen?

Günther Huesmann: Mich fragte einmal der Feuilletonchef der Kölnischen Rundschau, ob ich über eine von Berendts Veranstaltungen zu "Nada Brahma" eine Kritik schreiben würde. "Die Welt ist Klang" in der Kölner Oper, eine Soiree über das Hören. Ich meinte, Berendt sei mein Mentor, das sei ein bisschen schwierig für mich, denn ich stünde diesen Ideen doch etwas kritisch gegenüber. Ich war dann auch richtig entsetzt, was er da auf der Kölner Bühne präsentierte: Sterile elektronische Klänge, die angeblich die Rotationsounds des Saturns seien, sehr mittelmäßige Obertongesänge, eine insgesamt sehr weihevolle Stimmung. Es war eine Predigt, und ich dachte: "Nein", kurz gesagt, es wurde ein Verriss. Genau zu der Zeit hatte Berendt es aber geschafft, den ersten deutschen Jazzpreis zu installieren, den heutigen SWR Jazzpreis. Damals war ich auch Juror der ersten Jurysitzung, und nach dem Mittagessen bestand Berendt darauf, dass ich alleine mit ihm zur Jurysitzung fahre. Da saßen wir dann also im Auto und kurvten die Straßen des Schwarzwalds hoch. Dann sagt er plötzlich: "Günther, du magst also meine Arbeit nicht." Da wusste ich, er hat die Rezension gelesen. Mir schwante Böses, denn man wusste, Berendt setzte sich immer für Widerstand ein, aber Widerspruch gegen sich selbst, den konnte er überhaupt nicht ertragen. Er brach dann mit Vertrauten, reagierte tief gekränkt und extrem verletzt. Ich dachte: "Jetzt ist alles aus, aber ich packe jetzt aus". Ich sagte, "Jochen, ich habe Schwierigkeiten damit. Ich finde diese Grundbotschaft wichtig und toll: Macht die Ohren auf, hört sehr, sehr konzentriert zu. Aber dieser ganze esoterische Überbau, ich habe Schwierigkeiten damit. Es tut mir leid." Berendt hörte zu und schwieg. Nach der Jurysitzung fragte Berendt mich, ob ich, Günther Huesmann, sein "Jazzbuch" weiterführen wolle, weil er nicht mehr die Kraft dafür habe und sich nun anderen Aufgaben widmen wolle. Ich war sehr gerührt und fand das eine große und auch sehr souveräne Geste. Der spirituelle Berendt war toleranter geworden.

ARD Radiotipp:

Joachim-Ernst Berendt im ARD Radiofestival, ab 23.30 Uhr auf BR-KLASSIK und in der ARD Audiothek

Joachim-Ernst Berendt im fünfteiligen Portrait des SWR

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