Der polnische Trompeter Tomasz Stańko hat den europäischen Jazz geprägt wie wenig andere - als Soundmagier und ewig Suchender. Am 11. Juli 2022 hätte er seinen 80. Geburtstag gefeiert.
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Ein Ton und man wusste, das ist Tomasz Stańko. Seine Trompetenklänge hatten etwas Unerklärliches: Sie waren kalt und heiß zugleich. Sie konnten einem das Herz wärmen, aber auch das Blut in den Adern gefrieren lassen. Eine Kunst, die ihn einzigartig machte. Weltweit war er ein gefeierter Star und ein Botschafter für den Jazz aus seiner Heimat Polen. Dort begann auch seine Karriere, Ende Oktober 1963 in Warschau beim Festival "Jazz Jamboree".
Bildquelle: /ECM Records Der junge Trompeter Tomasz Stańko ist als Gast bei diesem Jazz-Großereigniss. Er stammt aus dem Süden Polens, am 11. Juli 1942 in der Stadt Rzeszów geboren. Studium in Krakau. Ein großes Talent der Szene. Gerade einmal 20 Jahre alt, hat er einen "ziemlich guten Sound", das sagen die anderen: rau, voll, kräftig aber nicht scharf. Anders klingt dieser Trompeter. Feurig und zugleich cool. Und Polens bedeutendster Jazzmusiker der Zeit, Pianist Krzysztof Komeda, ist auf der Suche nach ihm. Stańko sieht den blonden Pianostar, stellt sich vor, Komeda antwortet: "Okay, hast Du Zeit? Morgen ist Probe, dann spielen wir zusammen auf diesem Festival."
"Ich war unglaublich stolz; das war der Beginn meiner professionellen Karriere", erzählte Tomasz Stańko im Jahr 2011 im Interview beim Jazzfest Berlin. Er saß völlig entspannt in seiner Künstlerumkleide, trug Baseball-Kappe und eine Brille mit dickem, schwarzen Rand. Später beim Konzert mit Stücken von Komeda trat er im Anzug und mit stilvoller Schiebermütze auf.
Krzysztof Komeda war sein wichtigster Förderer und Einfluss. Mit ihm ging Stańko auf Tour, in seiner Band entwickelte der Trompeter vollends einen markanten Sound. 1967 ging Komeda mit Regisseur Roman Polanski nach Hollywood und schrieb unsterbliche Filmmusiken zu "Tanz der Vampire" oder "Rosemaries Baby". Tomasz Stańko wurde selbst Bandleader. Zwei Jahre später, 1969, war Komeda tot. Gestorben, nachdem er entweder durch einen Autounfall oder durch einen unglücklichen Sturz ins Koma gefallen war. Die Umstände sind nicht genau geklärt. Tomasz Stańkos erstes Album als Bandleader erschien 1970, der Titel "Music for K".
Tomasz Stańko | Bildquelle: Caterina di Perri/ECM Records "Ich spiele eigentlich nur meine eigene Musik, die einzige Ausnahme ist die von Komeda. Er war mein erster Held und wir haben beide ein ähnliches Verständnis von Lyrik, Melodik und Einfachheit. Wenn ich seine Musik spiele, fühlt es sich an, als wäre sie meine", sagte Stańko über seinen einstigen Mentor. Aber der Trompeter konnte sich loslösen von Komedas Ästhetik und seinen eigenen Stil erschaffen: eine Musik mit großem Melodiebezug, mit weiten Bögen, die aber gleichzeitig alle Freiheit im Umgang mit Harmonik und Rhythmik besitzt. Stańkos Musik schwebt, ist aber durch seinen kernigen Sound absolut erdverbunden.
Warum Stańko, Komeda und auch der klassische Komponist Frédéric Chopin diese spezielle Klanglichkeit in ihren Werken hatten, dazu hatte der Trompeter eine eigene Theorie: "Das Licht deines Heimatlandes bestimmt die Stimmung und den Klang deiner Musik. Dieses Licht Polens kann man auch in Chopins Musik spüren. Es ist eine besondere Art der Melancholie, ich glaube fest daran."
Sein Album "Balladyna" von 1975 war der Beginn seiner Verbindung zum Label ECM. Hier konnte Stańkos Sound zur Vollendung reifen und hier konnte er sich zu einem der bedeutendsten europäischen Jazzmusiker entwickeln.
Das Trio des Pianisten Marcin Wasilewski wurde später seine langjährige Begleitband. Aber trotzdem spielte Stańko immer wieder mit anderen Musikern, probierte verschiedene Besetzungen aus. Er trat mit so unterschieldichen Musikern wie Free-Jazz-Ikone Pianist Cecil Taylor, Schlagzeuger Manu Katché, Saxophonist Mark Turner, dem Gitarristen Jakob Bro auf, spielte zu seinem 70. Geburtstag zusammen mit der NDR Bigband unter der Leitung von Quincy Jones oder 2016 mit dem Globe Unity Orchestra. Er liebte es, sich überraschen zu lassen: "Ich wähle Musiker instinktiv aus. Sound ist wichtig, aber es geht auch darum, dass ein Musiker einfach etwas Frisches mitbringt. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Musiker gehören auch zur Improvisation dazu. Ich will mich davon überraschen lassen."
Gerald Cleaver, David Virelles, Tomasz Stańko, Reuben Rogers (v.l.n.r.) | Bildquelle: Caterina di Perri/ECM Records Im März 2017 ist sein letztes Album "December Avenue" erschienen, ein Meisterwerk. Mit den amerikanischen Jazzstars Gerald Cleaver, Drums, und Kontrabassist Reuben Rogers und dem kubanischen Pianisten David Virelles verband Stańko seine heiß-kalte Melodik mit der kantig-offenen Art des Swing, den die junge Generation der amerikanischen Jazzmusiker perfekt beherrscht - Musik, durchdrungen von ewiger Neugier und gespielt von einem Musiker, dessen Töne den Jazz auf immer verändert haben. Am 29. Juli 2018 starb Tomasz Stańko im Alter von 76 Jahren.
Tomasz Stańko im ARD Radiofestival 2022.Jazz