Er gehört zu den wenigen Musikern, die man bereits an einem einzigen Ton erkennt - der Saxophonist Stan Getz. Am 2. Feburar würde der Musiker, den der Mix aus Bossa Nova und West Coast Jazz weltberühmt machte, seinen 90. Geburtstag feiern.
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"Smooth Jazz", "Jazz to chill", "Cool down Swing", so oder so ähnlich heißen die Sampler, auf denen sein unverwechselbarer Sound sicher zu hören ist - denn die Nummer "Girl from Ipanema" darf natürlich nicht fehlen, diese Geschichte über das großgewachsene, gebräunte Mädchen am Hausstrand von Rio de Janeiro, lakonisch gesungen von Astrud Gilberto.
Gar nicht lakonisch klingt Stan Getz' Tenorsaxophon dazu. Unter einer cool-feinen Oberfläche scheint der Zuckerhut wie ein Vulkan zu brodeln. Sein Ton: Geschmeidig, kontrolliert, abgeklärt, überlegen, mit einem feinen Rauschen angereichert, stark, aber nie exaltiert, dazu unterschwellig eine knisternde Schärfe. Unnachahmlich und legendär im Jazz.
Am 2. Feburar 1927 in Philadelphia als Sohn ukrainischer Einwanderer geboren, bekam Stanley Gayetzsky mit 13 Jahren sein erstes Saxophon und schon zwei Jahre später spielte er bei der Bigband-Legende Jack Teagarden. Damit der talentierte Teenager in seinem Ensemble bleiben durfte, übernahm der Bandleader sogar die Vormundschaft für den jungen Saxophonisten. Von dort führte Stan Getz' Weg durch die Saxophonsätze unterschiedlicher Bigbands: Stan Kenton, Jimmy Dorsey und Benny Goodman waren die Leiter. Letzterer feuerte den 19-jährigen Stan wegen Disziplinlosigkeit.
In Woody Hermans Bigband wurde Stan Getz einer der "Four Brothers". Die vier Saxophonisten Zoot Sims, Herbie Steward, Serge Chaloff und Stan Getz spielten so geschlossen und swingend im Satz, dass sie als Brüder bezeichnet wurden und damit in die Jazzgeschichte eingingen. Aber auch hier war für den energiegeladenen, selbstbewussten und ehrgeizigen Jungspund nicht Schluss.
Hans-Jürgen Schaal:
"Stan Getz - sein Leben - seine Musik - seine Schallplatten"
Oreos Collection Jazz
ISBN: 3-923657-44-7
Ab 1949 hatte Stan Getz auch anderweitige Verpflichtungen: Er war mit 22 Jahren zum ersten Mal Vater geworden. Seine Vaterrolle nahm er durchaus ernst, aber ein Problem durchkreuzte seine familiären und musikalischen Ambitionen immer wieder: die Drogen. Alkohol, Heroin und später auch Kokain waren seine ständigen Begleiter. Ein gefährlicher, immer wieder fast tödlicher Strudel. 1954 überfiel er mit einer Spielzeugpistole eine Apotheke: Gefängnisstrafe. Danach zog er sich einige Zeit zurück. Auf einen Selbstmordversuch folgte ein langer Krankenhausaufenthalt. Trotzdem entstanden in diesen Jahren herausragende Alben mit Partnern wie dem Pianostar der Zeit, Oscar Peterson, dem quirligen Trompeter Dizzy Gillespie und seinem gegensätzlichen Instrumentenkollegen Chet Baker.
1/5
1955: West Coast Jazz (Norgran)
Cool und heiß zugleich. Er ist der König des Tenorsaxophon-Sounds schon mit Ende 20, das macht diese Aufnahme deutlich - Stan Getz mit seiner Band im August 1955 in Hollywood. Sommer, Sonne, Leben, Leichtigkeit - all das strahlt diese Musik aus, ist dabei aber nie harmlos und plätschernd. Höhepunkt der Platte: "Summertime" - Stan Getz im kreativ-kontrollierten Rausch, mit atonalem Ausflug und erstaunlicher rhythmischer Freiheit. Diese Klänge haben Gültigkeit, auch heute, im 61. Sommer nach der Aufnahmesession. | Bildquelle: Norgan Records
2/5
1956: For Musicians Only (Verve)
Da will es einer wissen! Am 16. Oktober 1956 trifft sich eine Allstar-Band mit dem legendären Bebop-Trompeter Dizzy Gillespie, Schlagzeuger Stan Levey, dem Charlie-Parker-Erben Sonny Stitt am Altsaxophon und dem ungestümen Stan Getz. Rasende Tempi - virtuosester Bebop. Fast alle Aufnahmen sind erste Takes, keine Nachaufnahmen, nichts wurde ausgebessert. Und Stan Getz überragt alle. Mit seiner Wucht, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seiner überragenden Kontrolle drückt er Stitt und Gillespie fast an die Wand. | Bildquelle: Verve
3/5
1961: Focus (Verve)
Ganz anders, trotzdem unverwechselbar: Stan Getz mit Streicherensemble. Eddie Sauter komponierte die Stücke zum Album "Focus" für Stan Getz, ließ dem Tenorsaxophonisten aber alle erdenklichen Freiräume. Nur die Streicherbegleitung soll festgeschrieben gewesen sein - alle Melodien durfte Getz frei dazuerfinden. Mit brillantem Sound schwebt er über den Streichern und gestaltet virtuos-phantasievoll die Melodielinien. Ein wahrer Meister und ein Meisterwerk, das Stan Getz als seine Lieblingsaufnahme bezeichnet haben soll. | Bildquelle: Verve
4/5
1962: Jazz Samba (Verve)
Der Klassiker - zurecht unsterblich! "Jazz Samba" gilt als der Beginn der "Bossa Nova"-Welle in den USA. Unzählige Jazz-Bossa-Platten erschienen von ganz unterschiedlichen Künstlern in den Folgejahren, aber an den Grundstein reichen wenig hin. Man muss nur das erste Stück mit dem verstimmten Titel "Desafinado" anhören. Stan Getz spielt dieses überlange Thema wie eine Improvisation - gefühlvoll, geschmeidig, nuancenreich. Nicht umsonst wurde er dafür 1963 mit dem Grammy für die beste Jazz-Performance ausgezeichnet. | Bildquelle: Stero
5/5
1972: Captain Marvel (Columbia)
Neue Zeiten, neue Sounds. Gemeinsam mit Ex-Miles-Davis-Schlagzeuger Tony Williams formierten Keyboarder Chick Corea, Bassist Stanley Clark und Perkussionist Airto Moreira eine Begleitband für Stan Getz. Ein elektrisches Klavier, energiegeladene Stücke teils mit spanischem Touch und Stan Getz’ überirdische Perfektion. So entstand eine Aufnahme, die viel Zeitgeist der 70er Jahre und der Rockjazz-Ära ausstrahlt. Getz‘ Sound ist hier etwas gedämpfter, etwas erdiger und mischt sich hervorragend mit dem Gurren des Fender Rhodes Piano. | Bildquelle: Columbia
"Jazz Samba" im Jahr 1962 machte auch Stan Getz zum Star. Er wurde Großverdiener, aber zugleich noch arroganter und noch weniger umgänglich. Der Erfolg lieferte ihm das nötige Kleingeld, weiterhin seine Drogensucht finanzieren zu können. Diese Musik mit den sanften Rhythmen und den schmeichelnden Tonfolgen war bei Stan Getz nie harmlos-einlullender Soundtrack zum eisgekühlten Cocktail, sein Bossa Nova kochte, unterschwellig, auf eine subtile Art.
Getz errichtete in seiner makellosen Kunst eine vollkommene Gegenwelt zu seinem Junkie-Dasein.
Darauf folgte für den Saxophonisten die Zeit der wechselnden Begleitbands. Unendlich viele Musiker durften zuerst, mussten später und hatten am Ende mit ihm gespielt. Sie kamen und gingen. Musikalisch großartig, menschlich schwierig. Stan Getz, fast immer im Rausch, ausfallend, aggressiv, dann wieder depressiv, niedergeschlagen und von Selbstmordgedanken gelähmt, wurde zum meistgehassten Musiker der Szene. Seine zweite Frau - 1956 hatte Stan Getz die Schwedin Monica Silfverskiold geheiratet - war ihm Stütze, aber auch Ventil für seine Launen.
Nicht selten wurde er ihr und seinen Kindern gegenüber handgreiflich. Es gibt unzählige Anekdoten und Gerüchte aus dieser Zeit. Eine ist, dass Stan Getz nie mit den Bambusblättern für sein Saxophon zufrieden war. Der Schlagzeuger Billy Hart erzählt von Hunderten, die auf dem Boden in unterschiedlichen Backstage-Räumen verteilt wurden. Ins Mundstück gespannt, kurz angespielt, für schlecht befunden, herausgerissen, auf den Boden geschmissen und ein neues Blatt hinein. Er verbrauchte die Saxophonblätter wie die Luft, die er durch sein Instrument blies.
In den 70er Jahren trat Stan Getz bei den großen Festivals auf, in Montreux mit seiner Form des Rock-Jazz. Ab den 80ern dann die Wiedervereinigung mit einem Kollegen aus alten Tagen: Chet Baker. Der Trompeter und der Saxophonist gemeinsam auf der Bühne: ein Highlight an Jazzseligkeit, aber nur dort. Es gibt Geschichten darüber, dass beide nicht im selben Flugzeug reisen konnten und über unterschiedliche Wege die Bühne betreten mussten. Es wäre sonst zur Schlägerei gekommen.
Eine tragische Mischung: Baker sichtbar verfallen durch jahrelangen Drogenkonsum und Getz' überlegen-arrogante Art, die Drogen scheinbar im Griff zu haben. Musikalisch passten das abgeklärt-kontrollierte Spiel von Stan Getz und die lyrisch-melodieversessenen Trompeten-Linien von Chet Baker außerordentlich gut zusammen.
In seinen letzten Jahren spielte Getz viel mit dem Pianisten Kenny Barron, der mit seinem kraftvollen und zugleich einfühlsamen Spiel ein idealer Begleiter für den Saxophonisten zu sein schien. 1989, nach 30 Jahren des gemeinsamen Leidens, wurde die Ehe zwischen Monica und Stan geschieden. Er, schwer an Leberkrebs erkrankt, stellte sein Leben um. Drogen- und Alkoholentzug, makrobiotische Ernährung, ein spätes zu sich kommen. Daraufhin, so die Geschichte, fasste er den Entschluss, sich bei allen Menschen, die er in seinem Leben schlecht behandelt oder beleidigt hatte, zu entschuldigen. Der Kommentar aus der Musikszene dazu war: Da müsse er aber noch lang leben.
Tat er nicht. Am 6. Juni 1991 starb Stan Getz, der Meister des Sounds in seinem Haus in Malibu, Los Angeles.
Am Donnerstag, 02. Februar ab 23.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Zum 90. Geburtstag von Stan Getz
Am 2. Februar hätte Stan Getz seinen 90. Geburtstag feiern können. Als er in den 60er Jahren mit Bossa Nova weit über Jazzhörerkreise hinaus populär wurde, hatte er mit seinem Tenorstil schon über ein Jahrzehnt lang die coolen Tenoristen der modernen Young-Schule geprägt. Mit makelloser Technik und einem leichten, weichen und doch vollen Sound, der als idealtypisch für „cool“ gilt, aber eine sanfte Wärme ausstrahlt, errichtete Getz in seiner Kunst eine vollkommene Gegenwelt zu seinem Junkie-Dasein. Und er konnte so intensiv und druckvoll swingen, dass Oscar Peterson ihm den Spitznamen „The Steamer“ (Dampfer) verlieh. Wie vielfältig seine Soundpalette bereits in seinen frühen Jahren 1946 - 1957 war, belegen die vorgestellten Aufnahmen mit Größen wie Dizzy Gillespie, J. J. Johnson, Oscar Peterson und Horace Silver.
Manuskript und Auswahl: Marcus A. Woelfle