Er gilt als der Shakespeare der Musik: William Byrd, einer der produktivsten und vielseitigsten Komponisten der englischen Spätrenaissance. Heuer jährt sich sein Todestag zum 400. Mal. Aus diesem Anlass erinnert ein neues Album des Ensembles The Gesualdo Six daran, unter welch repressiven politischen Bedingungen Byrds so scheinbar zeitlos dahinschwebende Musik entstanden ist.
Bildquelle: Hyperion
Ein einsames Landhaus, weit draußen vor den Toren Londons. Die Vorhänge sind zugezogen, drinnen schimmern Kerzen. Sechs Männer haben sich heimlich hier versammelt, um einen Tisch herum. Sie brechen Brot, sie reichen sich den Kelch mit Wein, sie singen vom Glauben an die eine, heilige, aber doch verbotene katholische Kirche. Katholisch sein war gefährlich im Elisabethanischen England. Lebensgefährlich. Knapp 200 Menschen ließ die Königin hinrichten, weil sie sich nicht zur anglikanischen Kirche bekannten. William Byrd hatte mehr Glück. Zwar blieb auch er dem Papst treu, wurde denunziert, musste Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Aber sein überragendes Talent schützte ihn vor Tod und Verbannung.
Seine lateinische Messe für fünf Stimmen ließ William Byrd 1595 vorsichtshalber ohne Titelseite drucken, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. An eine öffentliche Aufführung in einer Kirche war ohnehin nicht zu denken. Gesungen wurde sie vielmehr bei privaten Messfeiern in abgelegenen Adelshäusern.
Das Vokalensemble The Gesualdo Six unter der Leitung von Owain Park hat eine solche heimliche Messfeier nachgestellt, als szenisches Konzert unter dem Titel "Secret Byrd", zum Beispiel in der Krypta von St. Martin-in-the-fields.
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Secret Byrd – a work of concert-theatre
Auch das Publikum bekommt da Suppe und Brot, und wenn es bedrohlich an der Tür pocht, werden eilig die Kerzen gelöscht, und alle kauern sich ängstlich auf den Boden. Viel entspannter genießen lässt sich Byrds fünfstimmige Messe auf der parallel erschienenen CD, ergänzt um einige von Byrds berührend expressiven Motetten.
The Gesualdo Six sind mit dem Repertoire seit ihrer Kindheit vertraut, haben Byrds Musik in englischen Knabenchören aufgeführt. Sie singen mit einer unglaublichen Souveränität, voller Wärme und Sanftheit und mit so einer instrumentalen Farbgebung, dass man sich manchmal verblüfft fragt, ob da wirklich sechs Menschen aus Fleisch und Blut am Werk sind oder nicht doch ein himmlisches Bläserensemble.
Überirdisch schön, wie die sechs Stimmen zu einem einzigen atmenden Organismus verschmelzen, ganz in der Tradition und auch auf dem Niveau der legendären Hilliards. Und so ist dieses Album eine glänzende Visitenkarte für eines der derzeit besten a-capella-Ensembles. Und ein schönes Beispiel dafür, wie Kunst alle konfessionellen Grenzen überwindet. Wahrscheinlich hätte auch die strenge Elisabeth I. heimlich eine Träne der Rührung vergossen, wenn sie mit The Gesualdo Six eingetaucht wäre in Byrds mystische Musik.
William Byrd
The Gesualdo Six, Owain Park (Leitung)
Label: Hyperion
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 27. August 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK