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Huelgas Ensemble Eine erste Adresse für vokale Perfektion

Es zählt zu den renommiertesten Vokalformationen der Musica-Antiqua-Kultur, 2021 wird es auf sein fünfzigjähriges Bestehen zurückblicken können: das heute in Belgien residierende Huelgas Ensemble, spezialisiert auf die Musik um 1600.

Bildquelle: © Damon De Backer

"Die Schönheit der Musik, die wir machen, ist kongruent zur Perfektion. Wenn es perfekt ist, dann ist es auch schön. Das ist wie bei einem Gemälde von Memling: Wenn ein Strich nicht perfekt ist, dann ist das ganze Gemälde weg. Es ist nicht mehr da." Diese Bemerkung von Paul Van Nevel umreißt recht klar, was das Huelgas Ensemble zu etwas ganz Besonderem unter seinesgleichen macht: das stete Streben nach Perfektion. Dieses Streben begann im Jahr 1971, als der seinerzeit junge flämische Musiker ein vierköpfiges Ensemble gründete, mit dem er vor allem zeitgenössische Musik aufführen wollte, und dem er den Namen des spanischen Klosters Las Huelgas mit seinen faszinierenden Musikhandschriften gab.

Vokalpolyphonie vom Mittelalter bis zur Renaissance

Der Name blieb - Besetzung und Repertoire wandelten sich sehr schnell: Denn zwar führt das Huelgas Ensemble auch heute noch gelegentlich Neue Musik auf, doch gilt es schon lange in erster Linie als eine der maßstabsetzenden Gruppen für die Interpretation von Vokalpolyphonie vom Mittelalter bis zur Spätrenaissance. Pro Stimme also nunmehr meist mit zwei bis vier Sängern besetzt, widmet man sich inzwischen vor allem der frankoflämischen, aber auch der Musik vieler anderer Länder und Gegenden: Von Dufay bis Palestrina, vom Codex Las Huelgas bis Thomas Ashewell, von Josquin bis Mattheus de Perusio.

Perfekt fokussiert

Was fasziniert Paul Van Nevel gerade an diesem  Repertoire so? "Was die frankoflämische Musik angeht, da ist es sicherlich die Melancholie. Ich bin ein sehr melancholischer Typ. Für die andere Alte Musik ist es der Streit, dem Wort einem singenden Klang zu geben, und um die Architektur der Musik einen gewissen Atem zu geben." Dafür besetzt Paul Van Nevel sein Ensemble mit sorgfältigst ausgewählten Sängern, die nicht nur über perfekt fokussierte Stimmen verfügen müssen, sondern auch über ein exzellentes Gehör und ein Talent für die Aussprache von Texten in verschiedensten Sprachen.

Schatzgräber

Außerdem bringt der Dirigent auch jedes Jahr Wochen bis Monate in Bibliotheken zu, um vergessenes Repertoire auszugraben, oder Bekanntes noch einmal mit den Quellen zu vergleichen. Und seit einigen Jahren erstellt er aus den Originalhandschriften selbst keine modernen Partituren mehr für seine Sänger, sondern er lässt sie - wie es in Mittelalter und Renaissance Usus war - aus Stimmen singen, was zum Beispiel bei den hochkomplexen isorhythmischen Motetten eines Dufay selbst für Alte-Musik-geschulte Sänger unserer Tage doch eine ziemliche Herausforderung darstellt. "Am Anfang haben die gesagt: Paul, du machst uns das Leben schwer. Und ich sagte: Nein, ihr werdet schon sehen, einige Geduld, und es wird besser gehen; die Intonation wird besser. Und in der Tat sagen sie nun auch: Du hast Recht."

Luzide Durchhörbarkeit

Das Ergebnis ist noch eine Steigerung der bei Huelgas ohnehin schon immer gepriesenen luziden Klarheit der horizontalen Linien, der optimalen Durchhörbarkeit der vertikalen Strukturen der Musik, und der lupenreinen Intonation. Perfektion. Aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Schönheit der Musik willen. Und: Niemals leblose Perfektion. Denn je höher der angestrebte Grad an Perfektion, desto höher natürlich auch das Risiko bei einer Aufführung. Aber damit hat Paul Van Nevel keine Probleme: "Ein guter Musiker muss ein Seiltänzer sein; leider haben zu viele Musiker das Seil auf dem Boden!"

Sendungsthema aus "Forum Alte Musik" vom 8. August, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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