Es ist die Hauptstadt Portugals und eine alte Musikmetropole: Lissabon, landessprachlich Lisboa. Überschattet ist die ältere Musikgeschichte der Stadt durch das desaströse Erdbeben von 1755, dem auch viele Musicalia zum Opfer fielen.
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Das Stichwort vom 28. Mai 2017
Lissabon
Der Fado, der meist melancholische Gesang zu Gitarrenbegleitung, gilt als Inbegriff portugiesischer Volksmusik. Doch wurde er zunächst fast nur in Lissabon gepflegt und hat auch heute noch dort sein Zentrum. Insofern ist er das musikalische Wahrzeichen dieser Stadt. Allerdings erst seit dem frühen 19. Jahrhundert, als sich der Fado aus afrikanischen und brasilianischen, spanischen und portugiesischen Elementen in Lissabon zum Typus profilierte - aus einer bunten Vielfalt von Einflüssen, die mit der geographischen Lage der Stadt zu tun hat.
Lissabon liegt im äußersten Westen der iberischen Halbinsel, an der Mündung des Flusses Tejo in den Atlantik. Es ist eine Hafenstadt, ein Tor zur Welt. In der Antike hieß die Stadt Olisipo, ihre Vergangenheit ist phönizisch und römisch. 715 wurde sie von den Arabern, 1140 von Alfonso dem Ersten von Portugal erobert. Um 1149 begann der Bau der monumentalen Catedral Sé Patriarcal. Dort führte Gilbert of Hastings, der damalige englische Bischof von Lissabon, die römische Liturgie der Kathedrale von Salisbury, den sogenannten "Sarum Rite" ein. Bald hatte die Kathedrale einen Kapellmeister und Kantor, in der Folge auch einen Kornettisten, mehrere Organisten und fast fünfzig Sänger. Zwei der Organisten schrieben mit Lissabon Musikgeschichte: Die "Arte Novamente Inventada per Aprender a Tangar" von Gonҫalo da Baena erschien 1546 in Lissabon und war die erste auf der iberischen Halbinsel gedruckte Veröffentlichung mit Musik für Tasteninstrumente überhaupt. 1620 folgten von Manuel Rodrigues Coelho die "Flores de Música para o Instrumento de Tecla e Harpa", veröffentlicht von der aus Flandern stammenden Druckerfamilie Craesbeck, die ab 1597 in Lissabon ansässig war.
Bildquelle: picture-alliance/dpa Musik für Tasteninstrumente und Harfe, gemacht aus verzierten Varianten von Gesangseinlagen, erfreute sich besonderer Beliebtheit in Lissabon. Nach der Entstehung der Oper und ihrer Etablierung wurde dann der Einfluss der italienischen Musik dominant. Portugal und seine Hauptstadt wurden zu einer Art Kolonie Italiens: 1719 kam der Neapolitaner Domenico Scarlatti für ein Jahrzehnt als Hofkapellmeister nach Lissabon. Die drei Operntheater, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts in Lissabon entstanden waren, wurden von italienischen Ensembles bespielt, mit vornehmlich italienischem Repertoire. Immerhin entstand 1733 die erste Oper in portugiesischer Sprache: "La Pacienza di Socrate" von Francisco Antonio de Almeida, einem Zeitgenossen von Carlos Seixas, der sich mit brillanter Cembalomusik in der Nachfolge Scarlattis profilierte.
Bildquelle: picture-alliance/dpa Am 1. November 1755 kam es zur größten Katastrophe und Zäsur in der Geschichte Lissabons: Ein verheerendes Erdbeben mit folgendem Tsunami und Großbrand zerstörten zwei Drittel der Stadt. Francisco Antonio de Almeida soll in den Flammen umgekommen sein. Viel Musik von Carlos Seixas und ungezählten anderen war unwiederbringlich verloren. Der Wiederaufbau der Stadt und ihres Musiklebens ging zügig voran: 1793 wurde das repräsentative, bis heute existierende Teatro São Carlo eröffnet, 1835 das erste Konservatorium. Die Gründung von Orchestern und Konzertgesellschaften folgten. Der Weg zur reichen, vielfältigen modernen Musikkultur des heutigen Lissabon war gewiesen.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" am 28. Mai 2017, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK