Zu seiner Zeit Wunderkind und hoch gehandelter Star, heute eher im Schatten anderer Kollegen: Der Geiger und Komponist Pietro Nardini traf mit seiner emotional berührenden, empfindsamen Spielweise den Geschmack einer neuen Epoche – und schuf wichtige Beiträge zur Violinliteratur.
Bildquelle: © Nationalbibliothek Frankreich
Aus welchen Verhältnissen er kam und wann er seinen ersten Musikunterricht erhielt, ist nicht überliefert. Der allerdings muss Hand und Fuß gehabt haben, denn bereits mit zwölf Jahren wurde Pietro Nardini Violinschüler bei einem der größten Virtuosen seiner Zeit: Giuseppe Tartini in Padua. Ein Zeitgenosse berichtet, dass der Knabe aus Livorno ein wahrer Überflieger war:
Tartini war groß, aber Pietro Nardini machte solche Fortschritte, dass er ihm zuerst gleichkam, dann aber in der Süßigkeit des Tones den eigenen Lehrer übertraf.
Der Ruf des aufstrebenden Stars Nardini verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Er konzertierte an zahlreichen Fürstenhöfen Europas, spielte auf Einladung Kaiserin Maria Theresias in Wien bei der Hochzeit des Thronfolgers, gab aber Zarin Katharina II von Russland, die ihn gerne nach Sankt Petersburg gelockt hätte, einen Korb. Dafür nahm er 1762 ein fürstlich bezahltes Angebot des kunstsinnigen Herzogs Karl Eugen von Württemberg in Stuttgart an. Dort hörte ihn auch der gestrenge Leopold Mozart - und war voller Anerkennung.
Pietro Nardinis Erfolg lag wohl an der ganz besonderen Art seines Spiels. Denn er setzte nicht auf brillante Virtuosität, sondern - ganz im Geist der damaligen Zeit - auf den Ausdruck von Empfindungen. Der Dichter und Journalist Christian Friedrich Daniel Schubart, der Nardini spielen hörte, schrieb danach:
Er ist ein Geiger der Liebe, im Schoße der Grazien gebildet. Die Zärtlichkeit seines Vortrags lässt sich unmöglich beschreiben: jedes Comma scheint eine Liebeserklärung zu sein. Jede Note war wie ein Blutstropfen, der aus der gefühlvollsten Seele floss.
Auch als Komponist zeigt Nardini seine Stärke in den lyrischen, langsamen Sätzen. Bis heute haben seine "Adagios brodés", wörtlich übersetzt seine "ausgeschmückten Adagios", einen hohen Stellenwert in der Geigenliteratur des 18. Jahrhunderts: Die Violine erweitert die Melodie mit scheinbar freien, jedoch genau notierten Arabesken und Umspielungen.
Ab 1769 wirkte Pietro Nardini als Konzertmeister des Großherzogs Leopold von Toscana in Florenz. Dort stand er auch in sehr engem Kontakt mit Corilla Olimpica, mit der er gemeinsam auftrat: Sie war Dichterin und Improvisationskünstlerin - heute würde man sagen: eine Meisterin des Poetry Slam. Über Nardinis Ende am 7. Mai 1793 in Florenz ist nur bekannt, dass er dem Tod gelassen entgegensah und in Santa Croce bestattet wurde. Ende der 1920er Jahre urteilte der berühmte deutsche Geiger Carl Flesch:
Nardini muss eine besonders reizvolle Persönlichkeit gewesen sein. Ja, ich selbst bekenne, dass er mir unter allen Geiger-Komponisten des 18. Jahrhunderts am nächsten steht. Insbesondere seine langsamen Sätze sind Meisterwerke, turmhoch über die seiner Zeitgenossen ragend.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 10. Februar 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK