Von den drei Instrumentalkonzerten Antonín Dvořáks weist das Violinkonzert die ungewöhnlichste Entstehungsgeschichte auf. Vergingen doch zwischen dem Beginn der Komposition im Juli 1879 und ihrer Uraufführung im Oktober 1883 mehr als vier Jahre. Der Grund lag darin, dass der Geiger Joseph Joachim, dem das Konzert gewidmet war, immer wieder Verbesserungsvorschläge machte. Neben den Violinkonzerten von Mendelssohn, Brahms oder Tschaikowsky gehört das von Dvořák heute zu den beliebtesten seiner Art. Ulrich Möller-Arnsberg stellt es zusammen mit der Violinistin Arabella Steinbacher vor.
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Schon sehr früh in ihrer musikalischen Ausbildung beschäftigte sich Arabella Steinbacher mit Dvořáks Violinkonzert. Einerseits war die 13-jährige fasziniert von den slawischen Melodien. Andererseits fiel ihr aber auch auf, dass das Stück durchaus nicht so in die Finger geht, wie andere Konzerte der Violinliteratur. "Also, es ist von der physischen Kraft doch recht anstrengend, weil es symphonisch komponiert ist", sagt die Geigerin. "Es geht so ein bisschen in die Richtung des Brahms-Violinkonzerts, vom Spielgefühl her: viele Akkorde, große Striche. Man muss schon viel Kraft anwenden und große Bögen ziehen."
Gleich von Beginn des ersten Satzes "Allegro, ma non troppo" ist die Violine am musikalischen Geschehen beteiligt, sticht sie mit virtuosen Akkordpassagen und Kantilenen aus dem Orchesterklang heraus. Und doch hat sie sich gegen die kraftvoll symphonische Begleitung zu behaupten. Die Themen, die Dvořák in der klassischen Sonatenform bzw. später im dritten Satz in der Rondoform verarbeitet hat, ähneln tschechischen Volksweisen.
Man muss schon viel Kraft anwenden und große Bögen ziehen.
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Arabella Steinbacher | Bildquelle: Sammy Hart Eine Rolle bei der Entstehung der Komposition spielte der Einfluss des Geigers Joseph Joachim. Er hatte schon die Violinkonzerte von Brahms und Bruch uraufgeführt. Auf seine Änderungsvorschläge zur ersten Fassung des Violinkonzertes hatte Dvořák sogleich mit einer zweiten Version reagiert. Aber auch über diese war Joachim nicht glücklich. In seinem Brief an Dvořák vom 18. August 1882 bemerkt er sogar ganz unverhohlen: "Wenn ich das in aller Aufrichtigkeit sage, verehrter Herr Dvořák, so darf ich, ohne Gefahr, von Ihnen missverstanden zu werden, gestehen, dass ich das Violinkonzert in seiner jetzigen Gestalt noch nicht reif für die Öffentlichkeit halte."
Bei Arabella Steinbacher löst diese Kritik Joseph Joachims Erstaunen aus: "Eigentlich wundert mich es. Weil es einfach so eine schöne Musik ist. Vielleicht kritisierte Joachim deshalb, weil es teilweise ein bisschen ungemütlich liegt. Aber eigentlich erinnert es mich in vieler Hinsicht sehr an das Brahms-Violinkonzert. Und das hat er ja sehr oft gespielt, Also ich weiß nicht, warum Joachim das Dvořák-Konzert ignoriert hat."
Der Widmungsträger Joseph Joachim spielte Dvořáks Violinkonzert nicht. | Bildquelle: picture alliance/akg-images Es ist vor allem der dichte Orchestersatz, der Joachim befürchten ließ, die Solovioline könne sich in Dvořáks Violinkonzert nicht durchsetzen. Und doch brilliert sie klar über dem Orchester. So etwa zu hören in der Romanze, dem sich attacca anschließenden zweiten Satz. In warmem Glanz kann der Solist hier empfindungsreich schwelgen, bevor ihn im dritten Satz eine strenge Rondoform erwartet, bei der es gilt, mit dem Orchester eng im Kontakt zu bleiben. Für Arabella Steinbacher, der als Solistin Tempowahl und Phrasierung offensteht, ist solches Zusammenspiel kein Problem: "Ich bin jetzt auf meine Interpretation nicht völlig festgelegt. Wenn beispielsweise eine Tournee ansteht und man sagt, 'Jetzt machen wir es ein bisschen zügiger vom Tempo her', oder 'Wir lassen uns mehr Zeit', warum nicht? Man muss ja nicht immer gleich spielen."
Stilistisch gehört Antonin Dvořáks Violinkonzert seiner sogenannten slawischen Periode an – jener Zeit zwischen 1870 und 1880, in der sich der Komponist mit besonderer Intensität der heimatlichen Folklore zuwandte. Die Einwände des Geigers Joseph Joachim bezogen sich vor allem auf den ersten Satz. Auf, seiner Meinung nach, abrupt endende Orchestertutti. Auf die verkürzte Reprise und die direkte Überleitung zum zweiten Satz. Am 27. Dezember 1882 konnte Dvořák schließlich die endgültige Version mit der Einwilligung Joachims und der Widmung an ihn in Druck geben. Dennoch fand die Uraufführung am 14. Oktober 1883 nicht mit Joachim statt – vielmehr mit dem tschechischen Geiger Frantisek Ondricek und dem Orchester des Prager Nationaltheaters unter der Leitung von Moric Anger. Ondricek war es dann auch, der Dvořáks Violinkonzert in Wien und London bekannt machte.
Antonín Dvořák:
Konzert für Violine und Orchester a-Moll, op.53, B 108
Arabella Steinbacher (Violine)
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Marek Janowski
Label: Pentatone
Sendung: "Das starke Stück" am 26. April 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK