Paris, 8. Mai 1924. Unter der Stabführung von Serge Kussevitzky erklingt zum ersten Mal Arthur Honeggers "Pacific 231". Sechs Minuten Musik, die dem 32-jährigen Komponisten zu internationalem Ruhm verhelfen. Endlich: Die Presse spricht über ihn. Doch es geht hoch her. Die einen verreißen Honeggers Werk als lärmenden Wirrwarr, die anderen bejubeln es als hohes Lied der Maschine. Honegger hat ihm schließlich selbst den Namen des Schnellzuglokomotiven-Typs Pacific mit der Achsenfolge 2-3-1 gegeben und das Titelblatt der autographen Partitur mit einer detaillierten Zeichnung der Lok versehen.
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(Bild: Eine Dampflok vom Typ Pacific 231, 2509)
Außerdem ließ Honegger verlauten: "Lokomotiven habe ich immer leidenschaftlich geliebt. Für mich sind sie lebendige Wesen, die ich verehre, wie andere Frauen oder Pferde lieben."
Lokomotiven habe ich immer leidenschaftlich geliebt.
1924 bekennt Honegger sich offen zu seinem programmatischen Stück, in dem ein Anwachsen der Geschwindigkeit durch die stete Verkürzung der Notenwerte erreicht wird, ohne das Tempo zu beschleunigen. Doch nicht die Nachahmung von Geräuschen spielt eine Rolle, "sondern die Wiedergabe eines visuellen Eindruckes und eines physischen Wohlempfindens durch eine musikalische Konstruktion. Diese geht von der sachlichen Beobachtung aus: das ruhige Atmen der stillstehenden Maschine, die Anstrengung beim Anfahren, die allmähliche Steigerung der Geschwindigkeit bis zum 'lyrischen Zustand', zum Gewaltig-Pathetischen eines Eisenbahnzuges, der mit seinen 300 Tonnen Gewicht mit einer Stundengeschwindigkeit von 120 Kilometern durch die tiefe Nacht rast." So der Komponist.
Arthur Honegger | Bildquelle: Agence de presse Meurisse / Bibliothèque nationale de France Noch ahnt Honegger nicht, dass sich die Rezeption trotzdem auf detaillierte Vergleiche mit dem Quietschen der Bremsen oder dem Lärm der Kolben stürzen wird. 1952 versucht er einen Rückzieher. Nichts als eine romantische Idee sei der Titel dieses "Mouvement Symphonique" gewesen: "In Wirklichkeit bin ich einer sehr abstrakten, reinen Idee gefolgt, durch die ich das Gefühl einer mathematischen Beschleunigung des Rhythmus geben wollte, während die Bewegung selbst sich verlangsamt. Musikalisch habe ich einen großen figurierten Choral komponiert, der sich in der Form an Johann Sebastian Bach anlehnt."
Umsonst. "Pacific 231" wird ein Lokomotivenstück bleiben. Honegger weiß selbst um die Unumkehrbarkeit seiner einstigen Idee. Er nimmt es gelassen: "Man soll das Publikum nie unnötig betrüben: das ist eines der wichtigsten Gesetze der musikalischen Komposition."
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Honegger : Pacific 231 (Orchestre philharmonique de Radio France)
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Sendung: "Allegro" am 08. Mai 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK