Die Corona-Krise trifft die Musikwelt mit voller Wucht. Doch nicht alles ist zum Erliegen gekommen: Der Bariton Christian Gerhaher und sein Pianist Gerold Huber arbeiten gerade an ihrem Mammutprojekt "Robert Schumann – Alle Lieder" weiter, die CD-Aufnahmen in Kooperation mit BR-KLASSIK laufen auf Hochtouren. In der Pause nahm Gerhaher sich Zeit für ein Gespräch – selbstverständlich mit zwei Meter Sicherheitsabstand.
Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Classical
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BR-KLASSIK: Wir befinden uns gerade im Studio 1 des Bayerischen Rundfunks, denn Ihr Projekt, die Einspielung aller Lieder von Robert Schumann, geht weiter. Wie und mit welchen Gefühlen sind Sie heute hierhergekommen? Denken Sie gerade an Schumann - oder eher an Corona?
Christian Gerhaher: Ich bin mit dem Auto gekommen, weil ich zu spät war. Sonst wäre ich geradelt. Aber ich bin froh, dass wir hier noch was machen können. Und ich finde, man darf jetzt nicht zu sehr verzweifeln. Natürlich ist das alles gerade ungewohnt für alle. Aber dieser Satz "Man weiß nicht, wie es wird" – der ist schon sehr wichtig. Es kann nämlich auch viel besser werden. Als ich gerade Nachrichten hörte, sagte ein Mann aus der Wirtschaft, dass es auch eine Zeit nach Corona geben wird – das ist natürlich ein wenig trivial. Aber es ist schon wichtig, dass man nicht zu langfristige Aussagen macht. Es wäre doch gut, wenn wir uns eine Frist geben: immer eine Woche, und dann überlegt man neu. Dann hat man vielleicht die Möglichkeit, mit ein bisschen Hoffnung ins Leben zu schauen.
In der Staatsoper probt man auch vor leeren Rängen.
BR-KLASSIK: Im Moment müssen wir damit leben, dass es keine Konzerte gibt. Nun haben Sie ja am Montagabend trotzdem ein Konzert gegeben: in der Bayerischen Staatsoper, zusammen mit Gerold Huber - ohne Publikum, aber mit Livestream. Wie war Ihr Gefühl an diesem besonderen Abend?
Christian Gerhaher: Ich finde, das war eigentlich gar nicht so besonders, denn wir hören ja vieles im Radio – live oder im Studio aufgenommen –, wo auch wenig oder gar kein Publikum anwesend ist. Das hat für uns schon ein wenig anders ausgesehen, in der Oper ohne Publikum zu singen. Aber ich habe ja einige Produktionen an der Staatsoper mitgemacht, und da probt man auch vor leeren Rängen. Kunst hat natürlich immer einen Ansprechpartner, oder auch mehrere, aber sie funktioniert auch mit einer gewissen Vorweg-Projektion ihrer Inhalte.
Wir sollten so lange wie möglich mit dieser Krise auch im Positiven leben.
BR-KLASSIK: Und dass das Publikum fehlte, kann man in diesem Fall auch nicht sagen: Es war vielleicht nicht vor Ort, aber es gab fast 50.000 Stream-Abrufe. Ist das ein gutes Gefühl, den Leuten in dieser Zeit etwas geben zu können, damit sie nicht die Hoffnung verlieren?
Christian Gerhaher | Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Classical Christian Gerhaher: Ja, es ist schon wichtig, dass man versucht, das Leben nicht so schlechtzureden. Erstens haben wir gerade Frühling: Die Krise könnte ja auch im November begonnen haben, wenn alles ganz düster ist und man dann nur noch im Dunkeln hockt. Das ist jetzt nicht der Fall. Man kann aus dem Fenster schauen oder rausgehen – wir haben ja noch keine Ausgangssperre. Es ist doch eigentlich alles gar nicht so schlecht. Abgesehen davon weiß ich natürlich, dass sehr viele Freiberufler zum Beispiel und auch viele Firmeninhaber eine gewisse Zeit leiden werden und es schwer haben. Viele Menschen sind aber gleichzeitig wahnsinnig freundlich auf der Straße. Es findet eine gewisse Entschleunigung statt, die die Leute schon lange suchen und die ihnen hilft, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Ich glaube, dass das viele zurzeit so empfinden. Insofern würde ich sagen, wir sollten so lange wie möglich mit dieser Krise auch im Positiven leben.
Warum nicht solidarisch denken?
BR-KLASSIK: Es gibt ja viele weniger bekannte Künstler und Künstlerinnen, die durch aktuelle Konzertabsagen schon relativ schnell materielle Sorgen bekommen. Gibt es schon Ideen, wie man sich unter Musikern solidarisiert? Oder muss jeder versuchen, erst mal selbst durch die Krise zu kommen?
Christian Gerhaher: Sie haben natürlich recht. Warum nicht solidarisch denken? Vielleicht wäre es ja auch eine Idee, dass man solche virtuellen Konzerte noch öfter macht – und dann zum Beispiel in einen Solidaritätsfonds einzahlt. Und diejenigen miteinbindet, die momentan nicht beschäftigt werden, damit sie auch etwas verdienen können. Natürlich besteht da Handlungsbedarf. Dass es nicht allen so rosig geht wie meiner Familie, die es genießt, wenn ich jetzt mehr Zeit für sie habe – das weiß ich schon. Ich wäre gerne bereit, wenn jemand eine Idee hat und einen Hilfsfonds gründet, mich daran zu beteiligen. Ich denke aber – und das sage ich nicht, um mich aus der Verantwortung zu stehlen – dass es vor allem die Verantwortung des Staates ist, hier einzuspringen. Und das tut er ja auch. Ich vertraue auch darauf. Aber wenn es anders nicht geht, dann muss man eben zusammenstehen und sich gegenseitig helfen.
Viele Musikerinnen und Musiker geraten dadurch in eine existentielle Notsituation: Die Einnahmen bleiben aus, die Lebensgrundlage fällt weg. Deswegen hat die Deutsche Orchesterstiftung nun einen bundesweiten Spendenaufruf gestartet. Jeder Musikfreund und jede Musikfreundin kann in einen eigens eingerichteten Nothilfefond einzahlen. Die Stiftung kümmert sich dann um die Verteilung der Gelder an besonders bedürftige Musikerinnen und Musiker.
Spendenkonto:
Deutsche Orchester-Stiftung
Kennwort: Nothilfefonds
IBAN: DE35 1004 0000 0114 1514 05
BIC: COBADEFFXXX
Sendung: "Leporello" am 18. März 2020 um 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK