Der Wolfram in Wagners "Tannhäuser" ist eine von Christian Gerhahers liebsten Opernrollen. Am 14. Januar überträgt BR-KLASSIK eine Inszenierung des Royal Opera House London - mit Gerhaher auf der Bühne. Im Interview spricht der gefeierte Bariton über den nicht einfachen Charakter des Wolfram - seine Intellektualität und sein gebrochenes Verhältnis zu Liebe und Erotik.
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BR-KLASSIK: Herr Gerhaher, Sie sind um des Liedes willen Sänger geworden. Nur ausgewählte Opernrollen interessieren Sie, und dazu gehört vor allem der Wolfram von Eschenbach aus Wagners "Tannhäuser". Diese Figur darf auch schöne Lieder singen - aber eben nicht nur. Braucht man für diese Partie auch andere sängerische Facetten?
Christian Gerhaher: Am Ende des letzten Aktes, wenn Tannhäuser zur Rom-Erzählung zurückkehrt und die Venus wieder auftaucht, bekommt die Musik durchaus dramatische Züge. Aber deswegen muss man kein dramatischer Sänger sein. Es besteht dann vielleicht die Notwendigkeit einer Art stimmlichen Attacke - und das funktioniert aber, ohne dass man sich verbiegt. Im zweiten Akt gibt es im Sängerkrieg ja auch nicht nur das sehr liedhaft rezitativische Lied, das Wolfram zum Wettbewerb beiträgt - "Da blicke ich umher", - sondern auch ein ganz kurzes, aber sehr dramatisches: "Oh Himmel, lass dich jetzt erflehen". Und dabei wird die Rolle durchaus strapaziert. Das hat auch mit der Psychologie Wolframs zu tun. Er ist derjenige, der sich nicht nur als Intellektueller zeigt, sondern auch ein gewisses Understatement betreibt und vielleicht auch mit seiner Art der Zurückhaltung und der Abgewogenheit die anderen einfängt, aber auch provoziert. Im Grunde trägt er vielleicht zur endgültigen Eskalation des Sängerkriegs bei - oder verschuldet sie fast schon allein.
Überdrüssig der Vereinnahmung seines Genies durch die Gesellschaft, sucht Tannhäuser eine neue Freiheit im Traum. Im Reich der Venus durchlebt er Lust und Zerstörungen der Liebe, doch er strebt aus dem künstlichen Paradies zurück in die Außen-Welt. Er findet sich im Wartburg-Tal wieder, wo ihn die Sänger mit Billigung des Landgrafen Hermann wieder in ihren Kreis aufnehmen, von dem er sich einst im Streit abgesetzt hat.
Wolfram preist als Erster im Sängerwettstreit das Ideal der reinen Liebe. Ohne Rücksicht auf das bestehende Ritual setzt Tannhäuser dagegen den Genuss, besingt Venus und fordert alle auf, in deren Reich einzukehren. Elisabeth, die Tannhäuser ihre Liebe bekannt hat, ist zutiefst verletzt. Aber im Gebet fleht sie die Jungfrau Maria an, ihr Leben als Opfer für Tannhäusers Schuld anzunehmen. Der Landgraf schickt Tannhäuser nach Rom, damit im vom Papst Absolution erteilt wird, diese wird ihm aber verweigert. Daraufhin sucht Tannhäuser in seiner Verzweiflung wieder den Weg zur Venus, doch Wolframs Ruf "Elisabeth" lässt das tödlich-lockende Trugbild verschwinden. Ein Trauerzug kündet vom Tod Elisabeths. An sein Ende gelangt, betet Tannhäuser: "Heilige Elisabeth, bitte für mich". Schließlich stirbt Tannhäuser.
BR-KLASSIK: Das Publikum erlebt Wolfram meistens als sympathische Identifikationsfigur - vielleicht, weil er ganz normal wirkt neben der übermäßig heiligen Elisabeth, dem verrückten Tannhäuser und der ziemlich spießigen Wartburg-Gesellschaft. Aber es gibt doch einige Punkte in der Opernhandlung, die unklar bleiben: In der ersten Szene kehrt Tannhäuser zurück und Wolfram ist der Erste, der ihn erkennt. Er heißt ihn freundlich willkommen, drängt ihn geradezu zum Bleiben. Man fragt sich: Warum macht er das, wenn er Elisabeth liebt - Tannhäuser ist doch sein Konkurrent?
Christian Gerhaher im Mai 2016 als Wolfram von Eschenbach in Richard Wagners "Tannhäuser" am Royal Opera House, Covent Garden, London | Bildquelle: Clive Barda Christian Gerhaher: Wolfram ist der Einzige, der Tannhäuser willkommen heißt. Er weist die anderen sogar zurecht - sie sind ja keine homogene Gesellschaft. Die Motivation Wolframs, Tannhäuser zum Bleiben zu bewegen, ist sehr komplex. Da spielt nicht nur hinein, dass er vielleicht - und das wäre der einfachste und harmloseste Grund - Tannhäuser tatsächlich als Freund ansieht und sich freut, ihn wiederzusehen. Der viel wichtigere Grund ist natürlich, dass er Elisabeth wieder sehen möchte. Denn, wie er in seiner ersten Arie sagt, ist sie seit Tannhäusers Verschwinden nicht mehr aufgetaucht. Und wenn sich daher die Chance bietet, sie durch Tannhäuser wieder zurück zu locken, ist das ein gewichtiger Grund. Wolfram ist in gewisser Weise ein Sprachrohr. Er ist auch der Eloquenteste und Intellektuellste in dieser ganzen Gesellschaft. Man sieht es ja im zweiten Akt: Wenn Wolfram sehr ausgefeilt, aber unglücklich über das Wesen der Liebe sinniert - und danach ist Walther von der Vogelweide dran, dann kommt es dem Zuhörer als ein harmloser Abklatsch vor. Walther von der Vogelweide fehlt im Vergleich zu Wolfram nicht nur die Intellektualität, sondern auch die geistige Flexibilität, Ingeniösität und Fantasie.
BR-KLASSIK: Der Beitrag zum Sängerstreit, "Da blicke ich umher", wie ist er musikalisch gestaltet und was ist mit dem Eichenwald, dem wackeren Helden und dem Wunderbrunnen gemeint? So wie Sie das singen, hört es sich nicht an, als ob das irgendwelche abgegriffene Minne-Phrasen wären. Ihr Wolfram glaubt wirklich daran.
Wartburg: Fresko des Sängerstreits im Sängersaal, 19. Jh. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Christian Gerhaher: Das weiß ich nicht. An den Wunderbrunnen möchte Wolfram auf jeden Fall glauben. Das mit dem Eichenwald und dem deutschen Kampfesgeist ist eine kompliziertere Sache. Die Ansprache des Landgrafen nach dem musikalisch schrecklich martialischen Einzug des Wartburg-Volkes bleibt meiner Ansicht nach oft von der Regie etwas unterbelichtet. Ein schrecklicheres Pamphlet gegen die Freizügigkeit, gegen die Sensibilität des Menschen gegenüber dem Anderen, gegenüber einer frei gewählten Liebe kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Es wird immer so gehandhabt wie eine belanglose Ansprache, ein Blabla. Aber es ist alles andere als Blabla, es ist ein Ausdruck grässlichen Chauvinismus und einer seelischen Härte, die in jedem Wort für einen offenen Geist wie Wolfram belastend sein muss. Er muss sich positionieren, was er auch tut. Natürlich ist er zum Teil gesellschaftskonform und er ist vielleicht viel konformer als er sein müsste, wenn er diesen Wunderbrunnen der Liebe so übertrieben darstellt. Tannhäuser streut in seiner Reaktion sofort Salz in die Wunde, wenn Wolfram sagt "Hier ist ein Wunderbrunnen, aber bitte nicht anfassen." Ringelpiez ohne Anfassen funktioniert nämlich nicht. Deswegen ist es natürlich ein idealistischer Wunsch, den Wolfram hier ausbreitet - aber es ist auch ein verquerer Wunsch: Wie Tannhäuser sagt, es ist alles schön und gut, aber wenn diese Art der Weltsicht realistisch würde, dann würde die Menschheit sehr schnell aussterben. Es ist also ein Pamphlet für die platonische Liebe, allerdings ohne zu erklären, was es mit dem Phänomen der Erotik oder der Sexualität auf sich hat.
BR-KLASSIK: Sie singen die Partie des Wolfram jetzt schon seit einem Jahrzehnt. Inwiefern hat sich diese Partie für Sie in dieser Zeit verändert - von der Deutung her, aber auch von der stimmlichen Disposition?
Christian Gerhaher: Es ist so, dass mir die lauteren Passagen mittlerweile leichter fallen, und dass der "Abendstern" in seiner Fragilität und Schlichtheit vielleicht noch eine größere Herausforderung darstellt. Aber im Grunde fühle ich mich dieser Partie immer noch gewachsen und verbunden wie am Anfang. Die Differenziertheit der Sicht hat natürlich zugenommen. Allerdings gibt es auch die Gefahr, dass man hier eine eindeutige Sicht auf diese Oper und die psychologische Lage entwickelt, was ich eigentlich nicht gut finde und mir deshalb versagen möchte. Ich möchte nicht hingehen und sagen: Ich habe ein Bild von dieser Oper, und wenn sie nicht so aufgeführt wird, dann ist es verschenkte Mühe oder macht mich unglücklich. Das versuche ich zu vermeiden. Zusammenfassend versuche ich, die Sicht auf dieses Werk - trotz großer Erfahrung - flexibel zu halten.
Die Fragen stellte Alexandra Maria Dielitz für BR-KLASSIK.
Richard Wagners "Tannhäuser" wird für die Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper von Romeo Castellucci inszeniert; am Pult steht Kirill Petrenko.
Premiere ist am 21. Mai, weitere Vorstellungen gibt es am 15. und 28. Mai, am 4. und 8. Juni sowie am 9. Juli.
Die Premiere am 21. Mai wird ab 16.00 Uhr auf BR-KLASSIK live übertragen. Vorher gibt es ab 15.30 Uhr das Foyer mit Beteiligten der Produktion.