Wie wird man einem Künstler gerecht, der vor allem durch seine Kunst verstanden werden möchte und der als Person nur allzugern dahinter zurücktritt? Die Rede ist von Christian Gerhaher. Am 24. Juli 2019 feiert der Bariton seinen 50. Geburtstag. Und so haben wir einen anderen prominenten Künstler gebeten, stellvertretend für uns und für alle seine Fans würdigende Worte über Christian Gerhaher zu finden: den Dirigenten, Musikwissenschaftler und Siemens-Musikpreisträger Peter Gülke.
Bildquelle: © Thomas Egli
Peter Gülkes Gratulation im Originalton
Lieber Christian Gerhaher,
ich habe gehört, dass Sie 50 Jahre alt werden und habe zufällig die Gelegenheit bekommen, Ihnen zu gratulieren – obwohl ich mir vorstellen kann, dass Sie von einem großen Geburtstags-Trara nicht so furchtbar viel halten. Das ignoriere ich jetzt einfach und gratuliere Ihnen von Herzen. Ich lasse die üblichen Wünsche einfach weg, denn wenn man Ihnen etwas Schönes wünscht – gute Gesundheit und weiter fröhliche Produktivität –, dann ist das ein sehr egoistischer Wunsch für alle, die Ihre Kunst mit großer Dankbarkeit verfolgen und unter denen ich sozusagen in der ersten Reihe mich fühle. Wenn ich, ohne Geburtstags-Feierlichkeit zu zelebrieren, noch etwas sagen darf: Es bleibt für mich immer ein Phänomen, wie eine so genau überlegte, tief reflektierte Interpretation so unmittelbar in der Mitteilung, in der Adressierung des Hörers werden kann, dass der Hörer nicht unbedingt wissen muss, was dahinter an Arbeit und tiefer Überlegung steht. Ich bewundere das sehr.
Ich erlebe – wenn ich Sie erlebe – immer wieder die Kostbarkeit von Momenten, von denen ich weiß: So wird es nie wieder sein.
Peter Gülke | Bildquelle: Manu Theobald © EvS Musikstiftung Das ist ja eine Frage, vor der wir alle, die wir Musik machen, immer wieder stehen. Und ich würde sagen, es ist eine besondere Kostbarkeit – diese Unmittelbarkeit, die wir immer wieder bei Ihnen erleben! Denn wir leben in einer Welt, die uns immerzu suggeriert, Kunst müsste etwas leicht zu Schlürfendes sein. Und Kunst sei etwas, das verfügbar und wiederholbar ist. Ich erlebe – wenn ich Sie erlebe – immer wieder die Kostbarkeit von Momenten, von denen ich weiß: So wird es nie wieder sein. Die Kostbarkeit der Unwiederbringlichkeit, der Singularität von musikalischer Interpretation, die unser großes Privileg, unsere große Chance und unser großes Risiko ist: Sie erscheint mir ein Gegenbeweis gegen eine Welt, die alles für verfügbar hält.
Ich entsinne mich, bei einem Konzert in Weimar erlebt zu haben, dass Sie nach einem schwierigen Wolfgang Rihm, den Sänger als "Kehlreißer" bezeichnen würden, danach als Zugabe die Schubert'sche Vertonung von "Über allen Gipfeln ist Ruh gesungen" haben. Und ich werde nie vergessen, wie das nach dieser stimmlichen Super-Anstrengung möglich war, und Sie einen ganzen Saal gezwungen haben, in dieses Lied, in die Einmaligkeit dieser Prosa und dieser Vertonung hineinzukommen. Für solche kostbaren Momente danke ich Ihnen im Namen aller, die von Ihnen tief beeindruckt sind und hoffe, dass wir noch unendlich viele Konzerte von Ihnen erleben werden.
Ihr Peter Gülke
Sendung: "Allegro" am 24. Juli 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Sonntag, 28. Juli um 9.15 Uhr
Gustav Mahler: "Rückert"-Lieder
Christian Gerhaher, Bariton
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Bernard Haitink, Dirigent
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