1778 ist Mozarts Mutter gestorben und er vollendet in Paris eine stilistische Revolution: seine "erste tragische Sonate". Vor dem Hintergrund eines persönlichen Schicksalsschlags für den damals 22-jährigen Mozart steht dieses Solostück für Klavier für einen offensichtlichen tiefen Einschnitt im Leben des Komponisten.
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"Que c`est-il donc passé?" Was ist geschehen?, fragt sich der französische Mozart-Biograph Georges de Saint-Foix bei der Sonate für Klavier in a-Moll KV 310. Nicht nur er sah in dieser Komposition, die Mozart nach dem Tod der Mutter 1778 in Paris vollendet hat, eine stilistische Revolution. Von anderen wurde dieses Werk als "erste tragische Sonate" bezeichnet, was natürlich bereits die Wahl der Tonart a-Moll nahelegt.
"Trauern Sie mit mir, mein Freund! Dies war der traurigste Tag in meinem Leben – dies schreibe ich um 2 Uhr nachts – ich muss es Ihnen doch sagen, meine Mutter, meine liebe Mutter ist nicht mehr! Gott hat sie zu sich berufen. Erhalten Sie mir meinen Vater, sprechen Sie ihm Mut zu, dass er es sich nicht gar zu schwer und hart nimmt, wenn er das Ärgste erst hören wird. Meine Schwester empfehle ich Ihnen auch von ganzem Herzen. Geben Sie mir gleich Antwort, ich bitte Sie." So vertrauensvoll schreibt Wolfgang Amadeus Mozart an Abbé Bullinger, einen Freund der Familie in seine Heimat Salzburg. Es war im Juli 1778, kurz nach dem Tod seiner Mutter in Paris. Er traut sich nicht, seinem Vater zu beichten. Die Familie bleibt im Glauben, die Mutter sei krank, dabei ist sie bereits auf einem zur Kathedrale Saint-Eustache gehörigen Friedhof beigesetzt worden.
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"Mozart am Klavier", 1789. Unvollendetes Ölgemälde von Joseph Lange | Bildquelle: picture-alliance/dpa Es ist eine schwere Zeit für den damals 22-jährigen Komponisten, der in Begleitung seiner Mutter Anna Maria Mozart auf Stellensuche eine Reise über München, Augsburg und Mannheim nach Paris angetreten hat. Auch wenn die Musikwissenschaft inzwischen weiß, dass Mozart die a-Moll-Sonate bereits in Mannheim begonnen hat, so wird das Werk weiterhin aufgrund seines düsteren Charakters mit dem Tod der Mutter in Verbindung gesetzt. Fast unwahrscheinlich erscheint diese Zuordnung, denn Mozart arbeitet ebenfalls zu dieser Zeit an seiner prächtigen D-Dur-Symphonie.
Doch der klagende Unterton, die Melancholie und die Trostlosigkeit der Klaviersonate drücken unabhängig von dem Entstehungszeitpunkt Mozarts Leid und Schmerz aus. Diese Empfindungen sind für den jungen koreanischen Pianisten William Youn für seine Interpretation der a-Moll Sonate von großer Bedeutung: "Als ich diese Sonate einstudiert habe, habe ich mir vorgestellt, wie Mozart beim Komponieren sitzt und an seine Mutter denkt und wie verzweifelt und hoffnungslos er sich gefühlt haben muss", erzählt der Pianist. "Und das hat mir sehr geholfen bei der Interpretation dieses Stücks. Ich verstehe immer mehr von seinen Emotionen und seinem Zustand in der Zeit."
Nur ganz wenige Werke in Moll hinterließ Mozart überhaupt. In dem Gesamtschaffen des jungen Genies finden sich beispielsweise in seinen 626 Werken nur etwa 33 in einer Moll-Tonart ein - eine verhältnismäßig geringe Zahl. Dass die Moll-Tonart für den Komponisten selbst aber auch für viele Interpreten seiner Werke dadurch einen besonderen Stellenwert erhält, bleibt unbestritten.
Ganz deutlich hört man in Mozarts a-Moll Sonate sein Leid und seine innere Zerrissenheit. Förmlich versucht er hier, dem Klavier seinen Schmerz anzuvertrauen, ihn gleichzeitig zu überwinden und anschließend zu genesen. Ein Prozess, der in allen drei Sätzen der Klaviersonate zu spüren ist. "Das schwierige bei der Sonate ist, dass man die drei Sätze zusammen bringen muss", erklärt William Youn. "Es gibt eine musikalische Entwicklung und man macht eine emotionale Verwandlung mit. Wenn ich diese Sonate spiele, spüre ich all seine Emotionen, Verzweiflung, Schmerz, Hoffnung und auch Trost."
Der Pianist William Youn | Bildquelle: © Irène Zandel Die emotionale Verwandlung und die innere Suche werden vor allem im ersten Satz der Klaviersonate deutlich. Die Grundstimmung des Kopfsatzes verwebt traurige, dramatischdüstere mit leidenschaftlichen Elementen. Das trotz der Bezeichnung "Allegro maestoso" eher dämonische Thema unterstreicht das stetige Auf und Ab, die Auflehnung und Verzweiflung. Die teils dissonanten Akkorde nehmen ihren Ursprung in der typischen türkischen Militärmusik.
In der Kombination der komplizierten Motorik der Märsche des 18. Jahrhunderts mit der Kantabilität der lyrischen Momente der Sonate wagt Mozart ein ungewöhnliches Experiment, das eine eindeutige Stimmung erzeugt. "Wenn ich diesen Satz mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es Schicksal, und vor allem das erste Thema wäre für mich das Motiv des Schicksals", sagt William Youn dazu. "Aber gleichzeitig spielt die linke Hand fast perkussiven Rhythmus, was für mich einen nervös hämmernden Herzschlag symbolisiert. Und dieses Thema von Schicksal und diesen Herzschlag-Rhythmus zusammen zu kombinieren, das ist ganz toll."
Diese Sonate ist eine meiner Lieblingssonaten von Mozart und auch die persönlichste.
Diesen Herzschlag-Rhythmus, den William Youn hier beschreibt, ist den pausenlosen Sechzehntel-Bewegungen zu zuschreiben, die einen nicht enden wollenden Sturm ausbrechen lassen. Die gesamte Sonate lebt von emotionalen Sprüngen und musikalischen Brüchen. Nach dem niedergeschlagenen ersten Satz folgt dann der zweite, der durch seine Lyrik und seinen ruhigen Charakter einen ausdrucksstarken Gegenpol bildet. Das "Andante cantabile con espressione“ in F-Dur ist wie ein Gesang, der mild und beinahe trostspendend den Charakter des ersten Satzes relativiert.
Doch bald wird die aufhellende Stimmung durch eine ausgedehnte Moll-Passage getrübt. Das düstere Thema des ersten Satzes kehrt im letzten Teil der Sonate noch einmal zurück. Der Presto-Satz ist eines der bedrückendsten Stücke, die Mozart je komponiert hat und auch an dieser Stelle wechseln Aufbäumen und Resignation, ohne dass am Ende, wie sonst in Mozarts Werken, Freude und Befreiung siegen. Doch nicht nur der rastlose Charakter und der pochende, kompromisslose Schluss in a-Moll machen diese Klaviersonate von Mozart zu einer der anspruchsvollsten.
"Diese Sonate ist eine meiner Lieblingssonaten von Mozart und auch die persönlichste", sagt William Youn über das Werk. "Die Musik ist sehr intensiv, man braucht sehr viel Konzentration. Außerdem ist sie technisch sehr heikel. Es gilt unter Pianisten, diese Sonate zu vermeiden. Aber jeder Auftritt mit der Sonate ist eine Herausforderung und auch ein besonderes Erlebnis. Weil man emotional sehr verbunden ist und man diesen emotionalem Prozess von Mozart mitmacht."
Wolfgang Amadeus Mozart:
Klaviersonate a-Moll KV 310
William Youn (Klavier)
Label: Oehms Classics (Koproduktion mit BR-KLASSIK)