BR-KLASSIK

Inhalt

Eva Gesine Baurs neue Marlene-Dietrich-Biografie "Die Einsamkeit Marlenes hat mich wirklich getroffen"

Marlene Dietrich, Star und Mythos. Eva Gesine Baur hat eine Biografie über die Sängerin und Leinwandlegende geschrieben: "Einsame Klasse" heißt das Buch, denn einsam hat sich Marlene Dietrich ihr Leben lang gefühlt. Über Marlene Dietrichs Verbindung zur Klassischen Musik erzählt Eva Gesine Baur im Interview.

Marlene Dietrich in "A Foreign Affair" (1948) | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

BR-KLASSIK: Marlene Dietrich - das ist erstmal eine ganz große Geschichte. Sie haben aber in dieser großen Geschichte ein ziemlich unbekanntes Fenster entdeckt, nämlich das, was Marlene mit der Klassischen Musik verbindet. Wie sind Sie darauf gestoßen?

Eva Gesine Baur: Der erste Zugang liegt nahe, der liegt nämlich in ihrer Biografie. Sie hat ja zuerst in Weimar Geige studiert, nach eigenen Angaben an der dortigen Musikhochschule. In Wirklichkeit aber hat sie dort überhaupt nie eine Unterrichtsstunde bekommen, denn sie war keine offiziell aufgenommene Studentin und hat auch keine Aufnahmeprüfung gemacht. Sie wurde nebenher privat unterrichtet von einem Geiger, der allerdings auch temporär an der Musikhochschule unterrichtet hat. Ich habe dann auch noch eine zweite Sache entdeckt in der Folge dieser vermeintlichen Hochschulausbildung: Sie hat gesagt, sie sei dann hinterher zu Carl Flesch gegangen, dem großen Carl Flesch, und der habe ihr Bach ausgetrieben, denn er habe sie genötigt, Bachs Solo-Suiten zu spielen, bis der Ringfinger ihrer linken Hand gezerrt war. Dann musste die Hand, laut Marlene, in Gips gelegt werden, und danach war sie nicht mehr fähig, wirklich Geige zu spielen.

BR-KLASSIK: Also eher eine traumatische Beziehung.

Eva Gesine Baur: Aber Carl Flesch hat sich nie erinnert, eine Schülerin namens Marlene Dietrich gehabt zu haben.

BR-KLASSIK: Okay, nun wird es spannend.

Buchcover "Einsame Klasse - Das Leben der Marlene Dietrich" | Bildquelle: C.H. Beck Das Cover der Biografie | Bildquelle: C.H. Beck Eva Gesine Baur: Und nun habe ich sogar entdeckt, dass er wirklich an seinem Erinnerungsvermögen zweifelte, dieser rührende Mensch. Ich habe ein Dokument gefunden, in dem berichtet wird, dass er sie in Paris getroffen hat. Sie waren zufällig im selben Restaurant. Dort hat er zu ihr gesagt: "Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass Sie jemals bei mir studiert haben." Daraufhin hat sie sich bei ihm demütigst entschuldigt, und die Sache war vom Tisch.

BR-KLASSIK: Das heißt, es war erflunkert.

Eva Gesine Baur: Es war erflunkert. Aber sie konnte Geige spielen. Es gibt viele Fotos von ihr, wo sie Geige spielt, und dass sie die Singende Säge so gut spielen konnte, ist auch dem Geigenunterricht zu verdanken.

Sie hat ganz viel Klassische Musik gehört.

BR-KLASSIK: Mochte sie denn die Klassik im Verlauf ihrer weiteren Karriere?

Eva Gesine Baur: Sie hat ganz viel Klassische Musik gehört. Ihr großes Problem war die Einsamkeit. Deswegen heißt mein Buch auch "Einsame Klasse" im doppelten Sinne. Und wenn sie einsam am Set in ihrer Künstlergarderobe saß hat sie - Kollegen haben das notiert - bevorzugt Ravel und Debussy gehört, nicht gerade der gängige Geschmack.

Marlene Dietrich kannte Weill und Strawinsky

BR-KLASSIK: Kurt Weill war wahrscheinlich der wichtigste Komponist, dem Marlene Dietrich begegnet ist.

Eva Gesine Baur: Begegnet ist sie vielen wichtigen Komponisten, zum Beispiel Strawinsky, der ja in Hollywood gar nicht weit von ihr lebte. Für Marlenes exklusiven Musikgeschmack spricht, dass sie, als sie zum ersten Mal "Sacre" hörte, sagte, das ist die tollste Musik, die es überhaupt gibt. Aber Kurt Weill hätte für sie natürlich wichtig werden können.

BR-KLASSIK: Nämlich?

Eva Gesine Baur | Bildquelle: picture-alliance/dpa Eva Gesine Baur | Bildquelle: picture-alliance/dpa Eva Gesine Baur: Die beiden haben sich in Paris getroffen, auf dezidierten Wunsch von Marlene. Weill, Sohn eines jüdischen Kantors aus Dessau, war 1933 bereits abgehauen, und sie hat ihn über seine Frau Lotte Lenya suchen lassen, und er kam ihretwegen angereist, um für sie zwei Texte zu vertonen. Darunter ein Gedicht von Erich Kästner, den Marlene abgöttisch verehrte. Diese Kästner-Song ist auch erhalten und heißt "Abschiedsbrief". Bei Weill heißt er "Scheidebrief", aber es wurde nichts aus der gemeinsamen Einspielung dieses Liedes - obwohl Marlene da war und Himmel und Hölle in Bewegung setzte -, weil die beiden ihre Termine nicht koordinierten. Später gab es noch zwei Anläufe: Einen, wo Weill Marlene 1934 nach Hollywood locken wollte, um mit ihr und Sternberg einen Musikfilm zu machen; und einen anderen viel später, 1942, als er das Musical "One Touch of Venus" schrieb und Marlene für die Titelpartie wollte. Sie hatte natürlich auch aus Nostalgie mit Weill zusammenarbeiten wollen; die "Dreigroschenoper" war eines ihrer prägenden Berliner Erlebnisse gewesen. Trotzdem wurde daraus leider nichts, weil Marlene ganz zum Schluss sagte, das ungeschriebene Drehbuch sei ihr zu frivol. Ausgerechnet Marlene!

BR-KLASSIK: Das ist ja alles recht überraschend und passt nicht mit dem Klischee zusammen, das man von ihr im Kopf hat. Ihr Buch heißt "Einsame Klasse", Sie haben es gerade schon erwähnt. Inwieweit zeichnen Sie denn ein Bild, das auch in anderen Aspekten das gängige Bild von Marlene Dietrich korrigiert?

Ihre Klage über die Einsamkeit tönt wie ein Basso continuo durch ihre Briefe.

Marlene Dietrich am Pool (1932) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Marlene Dietrich | Bildquelle: picture-alliance/dpa Eva Gesine Baur: Dieser außergewöhnliche Musikgeschmack und ihre Affinität zu vielen jüdischen Musikern sagt eigentlich schon etwas Wesentliches über sie aus. Sie war ja auch mit Mischa Spoliansky befreundet, dessen Karriere anders als die von Weill im Exil einbrach. Sie hat versucht, ihn noch songschreibend hinzuzuholen. Das steht für ihre Offenheit und für ihr Bedürfnis, ihre Einsamkeit mit Sinn zu füllen. Und diese Einsamkeit hat mich wirklich getroffen. Als ich entdeckte, in wie vielen Briefen von ihr diese Klage wie ein Basso continuo tönt, war ich zuerst irritiert und dachte, na ja, vielleicht übertreibt sie, aber diese Klage zieht sich wirklich durch ihr ganzes Leben durch: Ich bin einsam. Natürlich kann man sagen, das ist doch unwahr. Nach der Aussage ihres ältesten lebenden Enkels Peter Riva gibt es einen Terminplaner, der erst 25 Jahre nach dem Tod ihrer Tochter, die noch lebt, veröffentlicht werden darf. In diesem Terminplaner sollen am Tag bis zu drei verschiedene Liebhaber verbucht sein. Das scheint dem zu widersprechen. Ich glaube aber, es widerspricht ihm nicht. Ich glaube, niemand ist einsamer als ein polygamer Mensch, der nur von hier nach dort springt und eigentlich nur bis zur Hautoberfläche kommt, nicht tiefer. Marlene Dietrich hat unter dieser Einsamkeit gelitten. Sie hörte in diesen Momenten Musik und hat auch mit dieser Musik ihr lebenslanges Heimweh gestillt. Sie hat sehr viel deutsche Musik gehört. Sie mochte Beethoven ungeheuer gerne und hat zum Beispiel auch in einem Film, den sie in Hollywood auf der Höhe ihres Ruhmes drehte, "Song of Song", das "Heideröslein" von Schubert gesungen.

Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

"Einsame Klasse - Das Leben der Marlene Dietrich"

von Eva Gesine Baur
Hardcover, 576 Seiten mit 40 Abbildungen
ISBN 978-3-406-70569-4
Preis: € 24,95
erschienen beim C.H. Beck Verlag

Das Buch von Eva Gesine Baur ist auch Thema in "Leporello" am 9. Mai 2017, 16.05 Uhr

    AV-Player