Emma Kirkby ist die Grande Dame der Alten Musik. In den 1970er-Jahren ist sie eine der Pionierinnen bei der Entdeckung der Werke von John Dowland und Claudio Monteverdi. Und auch Bach und Händel interpretiert sie damals neu mit ihrem klaren Sopran – ohne viel Vibrato. Emma Kirkby revolutioniert den Musikbetrieb, und das Publikum liebt sie bis heute dafür. Am 26. Februar wird die Sopranistin 70 Jahre alt.
Bildquelle: Emma Kirkby
Mit 14 Jahren singt Emma Kirkby im Schulchor und verliebt sich - in die Vokalmusik der Renaissance. Eine Liebe, die sie ihr Leben lang begleitet. Auch als sie beginnt, Altphilologie in Oxford zu studieren, singt sie nebenher in Chören. Einige ihrer Freunde besitzen historische Instrumente. Und so entdecken sie die Musik von Claudio Monteverdi, Guillaume Dufay und William Byrd – damals noch absolutes Neuland.
Ich war einfach zur rechten Zeit am richtigen Ort.
"Es hat sich alles ganz natürlich ergeben", erinnert sich die Sängerin. "Ich habe in Chören gesungen, während ich weiterhin Latein und Griechisch studiert habe. Aber ich habe wie verrückt gesungen. Ich habe nicht daran gedacht, professionelle Sängerin zu werden. Aber das Interesse an historischer Aufführungspraxis wurde immer größer. Und es wurden immer mehr Sänger gesucht. Für Musik auf historischen Instrumenten. Ich war einfach zur rechten Zeit am richtigen Ort. "
Nach ihrem Uniabschluss arbeitet Emma Kirkby noch einige Jahre als Lehrerin. Montag bis Mittwoch ist sie an der Schule, ab Donnerstag widmet sie sich der Musik. 1971 gründet sie gemeinsam mit anderen Pionieren der historischen Aufführungspraxis das Vokalensemble The Consort of Musicke. Die Monteverdi- und Dowland-Platten, die sie mit diesem Ensemble veröffentlicht, werden zu Referenzaufnahmen. Daneben beginnt Emma Kirkbys Erfolg als Solistin.
Ihre klare, helle Stimme verkörpert viele Jahrzehnte das Ideal der Alten Musik. Die Reinheit ihres Gesangs, in dem sie das Vibrato nur sparsam als Verzierung einsetzt, machen Emma Kirkby zur führenden Sopranistin im Bereich Renaissance und Barock. Die Sopranistin selbst allerdings setzt auf Vielfalt. Sie begrüßt es, dass die Musik von Bach, Händel und Purcell heute auch von anderen Stimmtypen gesungen wird: "Ich finde es sehr gut, ja gesund, dass es dafür so viele verschiedene Arten von Stimmen gibt. Verschiedene Stimmen können viel zu dieser Musik beitragen, solange man sich für die Worte interessiert. Und solange man den Instrumenten zuhört und die Balance beachtet. Diese Musik ist eine Art gehobene Sprache und kann für sehr viele Sänger interessant sein."
Musik und Text gehören für Emma Kirkby untrennbar zusammen. Dieses Credo bestimmt auch ihr Repertoire. Und das spannt einen weiten Bogen, vom frühen Mittelalter mit Hildegard von Bingen bis ins 20. Jahrhundert mit Werken der spätromantischen Komponistin Amy Beach. Eines ist Emma Kirkby wichtig, bei all den verschiedenen Stücken, die sie interpretiert: Der Gesang soll nie Selbstzweck sein. "Musik die vom Text ausgeht, schätze ich mehr, als Musik, die den Text nur zum Anlass nimmt, sich in irgendwelche Rhapsodien zu verlieren", erklärt sie. "Ich mag Musik, die den Text umsetzt, ihn aufgreift und wesentlich auf ihn hin orientiert bleibt."
Diese klare Haltung überzeugt die Hörer. Zum Beispiel bei den Lautenliedern von John Dowland: keine Mainstream-Musik und doch weltberühmt in der Aufnahme von Emma Kirkby. Eine von über hundert Platten, die sie im Laufe ihrer langen Karriere veröffentlicht. Zusammengearbeitet hat sie dabei mit allen großen Namen der Alten Musik-Szene, von Christopher Hogwood bis zum Freiburger Barockorchester. 1999 wird sie von den Hörern des britischen Senders Classic FM zur Künstlerin des Jahres gewählt, ein paar Jahre später wählen die BBC-Kritiker sie in die Top 10 der größten Sopran-Stimmen aller Zeiten.
Ich musste nie Sachen machen, die mir nicht lagen.
Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Marion Kalter Es ist eine fulminante Karriere, die Emma Kirkby gestaltet hat, übrigens nie mit einer großen Agentur im Rücken, sondern immer selbstbestimmt. So singt sie nur Werke, die ihr und ihrer schlanken Stimme liegen: "Ich hatte immer Glück, ich wurde nur sehr selten gebeten, etwas zu machen, was nicht funktioniert", erinnert sich Kirkby. "Einmal für das Verdi-Requiem und einmal für die Partie des Waldvogels in Wagners 'Siegfried'. Das wäre vielleicht gegangen, aber das wollte ich wirklich nicht machen. Ich hatte immer das Glück, genug Arbeit zu haben, mit Ensembles, deren Größe genau richtig für mich war. Ich musste nie Sachen machen, die mir nicht lagen."
Bescheiden geblieben ist Dame Emma Kirkby, auch nachdem sie von der Queen 2007 in den Ritterstand erhoben wurde. Und sie ist voller Enthusiasmus für die Musik, die sie singt und die sie seit vielen Jahren auch als gefragte Gesangslehrerin unterrichtet. Ihren 70. Geburtstag feiert sie mit einem Konzert in der Wigmore Hall in London. Eingeladen hat sie dazu viele Musiker der jüngeren Generation. Es ist ein Abbild der aktuellen Musikszene, denn Emma Kirkby ist in der Gegenwart verwurzelt. Das zeigt auch ihr ganz persönlicher, nicht-musikalischer Wunsch zu ihrem runden Geburtstag: "Das schönste Geschenk wäre eine Lösung für das Brexit-Problem. Wir Künstler können uns gar nicht vorstellen, von Europa abgeschnitten zu sein. Wir beten, dass dies nicht passiert. Viele meiner Landsleute wollen diesen Bruch unbedingt, aber sie bekommen bestimmt nicht das, was sie wollen. Sie sind schlecht behandelt worden, aber doch nicht von Europa. Ich bin sehr traurig über das Chaos und hoffe auf Harmonie."
Sendung: "Allegro" am 26. Februar 2019, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK