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Interpretationen im Vergleich Franz Liszts Sonate h-Moll

Liszts Klaviersonate h-Moll ist ein Werk an der Grenze zur Fantasie. Oft wurde ihr ein Programm untergeschoben, etwa das einer "Faust"-Sonate. Doch diese Sonate lässt sich nicht auf mögliche programmatische Aspekte reduzieren. Was sie auf jeden Fall darstellt, ist eine technische und gestalterische Herausforderung für jeden Pianisten. Christoph Vratz nimmt einige Einspielungen der h-Moll-Sonate unter die Lupe.

Der Pianist und Komponist Franz Liszt, Zeichnung von Franz Krüger, 1842 | Bildquelle: picture alliance / akg

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Der forsche Franz Liszt, Virtuose, Publikumsliebling, Meister der Selbstinszenierung – ausgerechnet er wartet lange und zaudert, bis er sich an die Gattung Sonate heranwagt. Als Pianist war Liszt mit den Klaviersonaten Ludwig van Beethovens bestens vertraut. Er wusste um ihre Bedeutung, ihre Übermacht und um die Gefahr ihres Erbes. Nachmachen? Ging nicht. Neue Entwicklungen ableiten? Nur mit Vorsicht.

Tradition und Fortschritt

Als sich Liszt zwischen 1849 und 1853 endlich traut, steht er vor einer Herkulesaufgabe: Er will Tradition und Fortschritt miteinander verbinden. Sieben Takte umfasst das Einleitungsthema seiner h-Moll-Sonate, bestehend aus hohlen, gespenstisch tönenden Oktaven. Sie bilden sozusagen den Rahmen; denn knapp eine halbe Stunde später beschließen erneut Oktaven dieses Werk. Liszt verzichtet also auf ein großes, virtuoses Finale, er überführt sein Werk in die Stille. Es ist ein Werk an der Grenze zur Fantasie, oft wurde ihm ein Programm untergeschoben, etwa das einer "Faust"-Sonate. Doch diese Sonate lässt sich nicht auf mögliche programmatische Aspekte reduzieren.

Vladimir Horowitz – stahlharte Kraft

Schon als junger Mann hatte Horowitz das Werk oft im Programm – sowohl bei seinen Europa-Tourneen als auch bei den ersten Solo-Auftritten in Amerika. Auf diese Weise hat Horowitz nicht unerheblich zur Popularität der Sonate (sowie der seiner eigenen Person) beigetragen. Bei den Aufnahmesitzungen im November 1932 in den Londoner Studios an der Abbey Road konnte wohl niemand ahnen, dass hier Schallplattengeschichte geschrieben würde. Mit derart nervöser Beweglichkeit, stahlharter Kraft und teilweise atemberaubender Geschwindigkeit muss diese Sonate dem Publikum damals als etwas Ungeheures erschienen sein.

Krystian Zimerman – Gewalt und Lyrik

Als exemplarisches Beispiel, wie dieses Werk klingen kann, wenn es in seiner Bedeutung ernst genommen, aber nicht mit zu viel Pathos gestaltet wird, soll die Einspielung mit Krystian Zimerman gelten. Der Pole hat die Sonate 1990 festgehalten, und wenn es das Paradox vom kontrollierten Rausch tatsächlich geben sollte, dann hier. Die Zusammenführung von brachialer Gewalt und sanfter Lyrik gelingt Zimermann in seiner Deutung der Liszt-Sonate mühelos. Diese Einspielung wirkt erstaunlich perfekt, es gibt nichts, was wirklich fehlt.

Emil Gilels – der Filigrantechniker

Bei Emil Gilels erstreckt sich der Zeitraum seiner 12 Aufnahmen über knapp 27 Jahre, von 1948 bis 1975. Gilels hält der zirzenischen Magie wie sie Horowitz entfaltet, mühelos stand. Die Filigrantechnik, über die Gilels verfügt, die Trennschärfe seines Anschlags, die Gegenüberstellung von Melodie- und Begleitstimmen sowie die bruchlosen Übergänge von flüssig-elegant hin zu eckig-rhythmisierend verhelfen unter Gilels Fingern der Liszt'schen Sonate zu einer ästhetischen Beglaubigung als Ausnahme-Kunstwerk.

Ivo Pogorelich – zwischen sphärisch und skurril

An manchen Haltepunkten oder Umschlagstellen wartet Ivo Pogorelich, bis die Spannung nicht größer sein kann. Als wolle er entweder ausscheren und/oder Liszt von Zwängen befreien. Selten hat die h-Moll-Sonate so improvisiert geklungen wie hier, zerbrechlich und ins Sphärische entrückt auf der einen Seite, unheimlich, skurril und naturkatastrophenhaft auf der anderen.

Jorge Bolet – wohltuende Gelassenheit

In den 1980er Jahren hat Jorge Bolet für die englische Decca eine Reihe von Liszt-Einspielungen vorgelegt, darunter 1982 auch eine mit der h-Moll-Sonate. Schon 1960 hatte er die Sonate aufgenommen. Selbst im Lauten beweist Bolet stets ein Maß an Gelassenheit, das wohltuend und beispielhaft wirkt. Immer hat man das Gefühl, dass selbst im Fortissimo noch eine Reserve wohnt. Das wiederum garantiert eine seltene Schönheit des Klangs; gleichzeitig verrät Bolets Spiel einen sprachlichen Duktus, der vom Gesang herkommt und den es nicht zu verletzen, sondern lebendig zu halten gilt.

Sendung: "Interpretationen im Vergleich" am 26. Februar 2019 ab 20.05 Uhr auf BR-KLASSIK – hier die ganze Sendung zum Anhören.

Interpretenliste der Sendung "Interpretationen im Vergleich" mit Liszts h-Moll-Sonate

Alfred Cortot
Naxos (1929)

Vladimir Horowitz
Naxos (1932) / Sony (1949)

Emil Gilels
Brilliant Classics (1949, 1965)

Géza Anda
Membran (1954)

Leon Fleisher
Sony (1959)

Van Cliburn
Profil (1960)

Jorge Bolet
Alto (1960) / Decca (1982)

Julius Katchen
Audite (1962)

Clifford Curzon
Decca (1963)

Swjatoslaw Richter
Decca (1966)

Claudio Arrau
Philips (1970, 1985)

Martha Argerich
Deutsche Grammophon (1971)

Krystian Zimerman
Deutsche Grammophon (1990)

Ivo Pogorelich
Deutsche Grammophon (1990)

Michael Korstick
cpo (1997)

Mikhail Pletnev
Deutsche Grammophon (1997)

Boris Berezovsky
Mirare (2009)

Lars Vogt
Berlin Classics (2009)

Daniil Trifonov
Deutsche Grammophon (2013)

Angela Hewitt
Hyperion (2014)

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