Spätestens seit der Veröffentlichung seiner Autobiografie "Der Klang der Wut" ist der britische Pianist James Rhodes auch in Deutschland ein Begriff. In dem Buch schildert Rhodes schonungslos seine Jugend, in der er sexuell missbraucht wurde. Drogen und Aufenthalte in der Psychiatrie waren die Folge, doch mit Hilfe der Musik konnte er einen neuen Weg einschlagen. Am 12. Oktober gibt er ein Konzert mit Lesung in München. Im Interview spricht er über die heilende Wirkung Klassischer Musik - und die Vorzüge von Wut.
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BR-KLASSIK: James Rhodes, Sie tragen auf ihrem rechten Oberarm ein Tattoo mit dem Namen des russischen Komponisten Sergej Rachmaninow. Haben Sie auch schon einmal überlegt, sich eine Tätowierung mit dem Namen Johann Sebastian Bachs anfertigen zu lassen?
James Rhodes: Das habe ich tatsächlich. Und eigentlich überlege ich es noch immer. Ich wollte mir schon immer die ersten vier Takte der Goldberg-Variationen tätowieren lassen. Vielleicht mache ich das eines Tages.
BR-KLASSIK: Die Goldberg-Variationen scheinen für Sie sehr wichtig zu sein. Auch in Ihrem Buch "Der Klang der Wut" handelt das Anfangskapitel von diesem Werk. Sind die Variationen für Sie eine Initialzündung gewesen, überhaupt die große Kraft - auch die Heilkraft - der Musik kennen- und lieben zu lernen?
James Rhodes: Dieses Werk ist für mich auf jeden Fall einer der wichtigsten Einflüsse. Es ist ein großartiges Meisterwerk. Das ist schon komisch: Fast alle Meisterwerke kommen aus Deutschland. Ich bin richtig aufgeregt, weil ich jetzt zum ersten Mal in Deutschland Konzerte geben kann. Allein die Vorstellung, in all den Städten aufzutreten, in denen Beethoven, Brahms, Schubert, Schumann gelebt haben. Und Bach natürlich. Das ist für einen Musiker ganz schön beängstigend.
In den Goldberg-Variationen steckt einfach alles. Sie sind so romantisch und voller Trauer, Verzweiflung und Traurigkeit. Und zugleich gibt es sehr viel Freude und Glückseligkeit. Es ist Magie, ein Zaubertrick! Das macht wirklich gute Klassische Musik aus. Bach ist es gelungen, diese magischen Klänge zu schaffen, die uns 300 Jahre später noch immer faszinieren.
Wenn man Musik hört, egal welche Art von Musik, fühlt man sich besser.
BR-KLASSIK: Sie haben einmal geschrieben, Klassische Musik sei für Sie wie eine Droge. Nun haben Sie selbst auch Erfahrungen mit Drogen und Psychopharmaka gemacht, wie Sie in Ihrem biografischen Buch berichten. Wie haben Sie entdeckt, dass Musik Ihnen helfen kann, aus diesem dunklen Tunnel Ihrer Vergangenheit herauszukommen?
James Rhodes: Ich habe das schon mit sieben Jahren kapiert und zwar anhand eines anderen Werks von Bach: der Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Solo-Violine, die Busoni für Klavier arrangiert hat. Als ich dieses Stück spielte, hat sich für mich ganz plötzlich alles verändert. Ich dachte mir, dass unsere Welt nicht so schlecht sein kann, wenn es solche Musik gibt. Und das Tolle an der Musik ist, dass es nicht nur mir so geht, sondern sehr vielen Menschen. Wenn man Musik hört, egal welche Art von Musik, fühlt man sich besser. Musik hat mich noch nie im Stich gelassen und das ohne die furchtbaren Nebenwirkungen von Drogen.
BR-KLASSIK: Trotzdem war es für Sie nicht ausreichend, sich nur über Musik auszudrücken und durch sie Heilung zu finden. In Ihrem Buch "Der Klang der Wut" haben Sie Ihre Geschichte, Ihre Biografie aufgeschrieben.
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James Rhodes: Musik ist mir immer genug. Aber ich wurde gebeten, ein Buch zu schreiben. Ich hatte mir zuvor in meinem Blog über die Rolle der Kreativität in unserer schnelllebigen Welt Gedanken gemacht. Darüber, wie wichtig es ist, in uns zu gehen - in einer Zeit, in der so viel von außen auf uns einströmt. Dieser Blog verbreitete sich dann schlagartig auf der ganzen Welt. Einige meiner jetzigen Verleger wurden auf ihn aufmerksam und haben kontaktierten mich. Sie baten mich, ein Buch zu schreiben. Zuerst dachte ich, dass es vielleicht ein bisschen übertrieben ist, mit 38 Jahren schon seine Memoiren vorzulegen. Aber dann erschien es mir als geniale Möglichkeit, einen Liebesbrief an die Musik und an meinen wunderbaren Sohn zu verfassen. Aber ich wollte auch über die Probleme in der Musikbranche und in der Musikerziehung schreiben. Vor allem wollte ich all das ansprechen, über das viel zu wenig diskutiert wird - Missbrauch von Kindern, Geisteskrankheiten, Selbstmord und autoaggressives Verhalten. Das Buch schien eine gute Möglichkeit zu sein, mich dazu in meinen eigenen Worten äußern.
BR-KLASSIK: Jetzt, wo wir miteinander sprechen, klingen Sie eigentlich ganz zahm. In Ihrem Buch jedoch ist, dem Titel gemäß, sehr viel Wut spürbar. Sie sind da schonungslos offen und verwenden viele Wörter, die man sonst eher zu vermeiden sucht. Haben Sie heute, da Sie ein eher etabliertes Leben als Konzertpianist und Fernsehmoderator führen, keine Wut mehr?
James Rhodes: Natürlich gibt es diese Wut noch immer. Jetzt bin ich gerade sehr höflich, weil ich im Radio spreche. Aber wenn man sich derzeit umschaut und die Zeitungen aufschlägt - gerade auch in Deutschland, nach diesen schrecklichen Anschlägen - dann gibt es wirklich jede Menge, über das man sehr wütend sein kann. Wir meinen zwar immer, dass Wut etwas Schlechtes ist, das man nicht verspüren sollte. Aber die Wut hat mich viele Jahre lang angetrieben, morgens aufzustehen, Klavier zu spielen, zu üben, zu studieren und ununterbrochen zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass es etwas Schlechtes ist. Aber glücklicherweise gibt es auch ruhigere Tage mit mehr Frieden und Freude.
Die Fragen stellte Uta Sailer für BR-KLASSIK.
"An Evening with James Rhodes"
Eine musikalische Lesung mit Werken von Bach, Beethoven und Chopin
Mittwoch, 12. Oktober 2016
München, Carl-Orff-Saal im Gasteig, 20.00 Uhr