Feldafing, 10. Mai 1948. Leonard Bernstein dirigiert ein Orchester aus Holocaust-Überlebenden. Es ist ein leicht vergilbtes Schwarzweiß-Foto, das einen der bewegendsten Momente in Leonard Bernsteins Karriere dokumentiert. Die Aufnahme zeigt eine Gruppe von Männern und Frauen, die ernst in die Kamera blicken, manche halten ein Instrument in den Händen. Aus Sicht des Betrachters rechts: ein junger Mann im weißen Hemd mit Krawatte. Sein Gesicht ist gezeichnet. Das, was er erlebt hat, scheint ihn bis ins Mark erschüttert zu haben.
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Im Frühjahr 1948 ist Leonard Bernstein auf Gastspielreise im kriegszerstörten Europa. Seit seinem New Yorker Sensationsdebüt gilt der 29-jährige Sohn jüdischer Einwanderer als amerikanischer "Wonderboy", als Taktstock-Charismatiker, der das Publikum mit Charme, Elan und Optimismus überwältigt. Während seines München-Aufenthalts tritt ein Offizier des "American Joint Distribution Commitee" an den jungen Mann heran und bittet ihn, kurzfristig ein ungewöhnliches Orchester zu dirigieren. Das kleine Ensemble besteht aus Überlebenden der nationalsozialistischen Vernichtungslager. Bernstein sagt zu. Die Begegnung mit den 17 jüdischen Musikern und Musikerinnen und deren Geschichte wird für den Dirigenten zur aufwühlenden Konfrontation mit dem Holocaust.
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The Leonard Bernstein Exhibit: Holocaust Survivors’ Orchestra
Am 10. Mai bringt ein Militärkonvoi Bernstein nach Feldafing am Starnberger See. Dort harren in einem Auffanglager für Displaced Persons mehrere tausend ehemalige KZ-Insassen darauf, wie es mit ihnen weitergeht. Für sie geben der junge Maestro und das Orchester um 13.00 Uhr ein erstes Konzert.
Überlebende musizieren für Überlebende. Die Atmosphäre ist eine emotionale Achterbahn-Fahrt. Anschließend fahren Bernstein und das Ensemble weiter nach Landsberg am Lech, um im dortigen Lager ihr Programm am Abend zu wiederholen. "Was für eine Erfahrung, es war herzzerreißend", schreibt Leonard Bernstein nach Hause. "Alles ist schlimm, bis auf die Musik".
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Sendung: "Allegro" am 10. Mai 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK