Für eine Pianistin hat Maria João Pires erstaunlich kleine Hände – sogar das Greifen einer Oktave bereitet ihr schon Schwierigkeiten. Rachmaninow zu spielen wäre für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Das war einer der Gründe, warum Maria João Pires sich so intensiv mit Mozart beschäftigte. Im Laufe ihrer Karriere hat die portugiesische Pianistin, die am 23. Juli ihren 75. Geburtstag feiert, sogar zweimal alle Mozart-Sonaten aufgenommen. Und auch ein ganz besonderer Auftritt von Maria João Pires aus dem Jahr 1999, der vielen bis heute im Gedächtnis ist, hatte mit Mozart zu tun…
Bildquelle: © Felix Broede / Deutsche Grammophon
Das Orchester sitzt bereit, das Publikum wird langsam ungeduldig. Alle warten gespannt auf die Solistin. Und dann kommt sie auf die Bühne. Der Dirigent hebt den Taktstock, die Musiker beginnen mit dem Vorspiel. Und dann bricht bei der Pianistin die blanke Panik aus: Dieses Klavierkonzert ist nicht das, das sie über die letzten Wochen einstudiert hatte. Ein Alptraum, der Musiker gerne in unruhigen Nächten heimsucht. Doch für Maria João Pires wird dieser Alptraum zur Wirklichkeit. Die Künstlerin hält sich die Hand vors Gesicht, als wäre sie den Tränen nahe. Der Dirigent, Riccardo Chailly, flüstert ihr noch während des Vorspiels zu: "Komm, das schaffst du schon!" Dann sammelt sie sich kurz – und spielt das falsche Konzert aus dem Gedächtnis, ohne einen einzigen Fehler.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Maria Joao Pires expecting another Mozart concerto during a lunch-concert in Amsterdam
Ich glaube nicht so sehr an den Interpreten.
Das Video von diesem unglaublichen Vorfall gerät ein paar Jahre später ins Netz und wird millionenfach geklickt. Die Leute bewundern Maria João Pires' geniales Gedächtnis und ihre Professionalität auf der Bühne. Dabei hat die portugiesische Pianistin sich nie sonderlich auf dem Podium eines großen Konzertsaals wohlgefühlt. Sogar der Applaus nach einem Auftritt ist ihr peinlich. Ein Star sein als Interpretin – diese Vorstellung ist ihr fremd: "Ich glaube nicht so sehr an den Interpreten", sagt Pires. "In dem Sinne, dass der Interpret sich ausdrückt, sich selbst in der Musik. Ich glaube, die Musik zeigt ihm, was er machen muss. Es ist wie ein Gespräch mit einem sehr guten Freund. Man spricht mit einander, man muss nicht unbedingt von sich erzählen, man muss sich nicht ausdrücken. Der Ausdruck kommt durch das Gespräch."
Mit Schubert führt Maria João Pires ernste, innige Gespräche voller beseelter Poesie und klanglicher Reinheit. Ihre Konversationen mit Chopin sind unendlich lyrisch. Doch die besten Gespräche gelingen ihr mit Mozart. Als Mozart-Spezialistin schlechthin wird sie oft betitelt – nicht unbedingt zu ihrer Freude: "Ich bin nicht da, um zu zeigen, dass ich gut Mozart spiele, aber ich bin da, um Mozart zu verstehen", erklärt die Pianistin. "Und das spürt man wahrscheinlich. Aber es gibt viele andere sehr gute Mozart-Interpreten."
Maria João Pires nach einem Konzert in der Laeiszhalle in Hamburg am 9. Mai 2014 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Als Kind ist Maria João Pires oft einsam, in Mozart findet sie den passenden Gesprächspartner. Mit fünf gibt sie schon ihr erstes Konzert – und wird prompt vom Publikum ausgelacht, als sie auf der Bühne den, ihr in seiner Größe bis dahin unbekannten, Flügel erst einmal ausführlich inspiziert. Das Konzert verläuft gut, ein schlechtes Gefühl bleibt trotzdem zurück. "Kein Kind sollte allein auf der Bühne sein", sagt sie später als Erwachsene. Zart, sensibel, fast zerbrechlich wirkt sie. Und doch sehr klar und bestimmt. Wenn es zum Bespiel darum geht, ihre Projekte für benachteiligte Kinder zu verwirklichen. Ihr Haus in Portugal macht sie zu einem Treffpunkt für junge Leute, sie gründet einen Laienchor für Kinder aus der Umgebung, lädt junge Musiker zu Meisterklassen und Workshops ein.
Doch Maria João Pires wird in Portugal nicht nur positiv aufgenommen. Ihre Projekte stoßen auf Widerstand. Sie kehrt ihrem Heimatland den Rücken, geht nach Brasilien, übersteht eine schwere Krankheit, findet schließlich in Belgien die gewünschte Resonanz und Akzeptanz. Konzertreisen, die ihr ohnehin verhasst sind, werden immer seltener, sie spricht immer öfter davon, mit dem Konzertieren aufhören zu wollen. Ende 2017 beendet Maria João Pires ihre Karriere. Seitdem gibt es nur noch ganz selten Auftritte an ausgewählten Orten. Doch ihre musikalischen Zwiegespräche führt sie unbeirrt weiter fort. Auch mit Mozart.
Sendung: "Allegro" am 23. Juli 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK