Mathilde Schönberg, geborene Zemlinsky, schreibt einen Brief. Sie ist aufgewühlt. Ihre Zeilen richten sich an den Bruder des Malers Richard Gerstl, den Bruder ihres Geliebten, der sich vor fünf Tagen erhängt hat.
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Es ist mir alles so furchtbar schmerzlich, das mich an dieses traurigste Unglück erinnert. Glauben sie mir, Richard hat von uns beiden den leichteren Weg gewählt. Leben zu müssen in so einem Fall ist schrecklich schwer.
Dabei war es ihr in den letzten zwei Jahren, seit sie Gerstls Bekanntschaft gemacht hatte, endlich wieder besser gegangen: Die Abende im sogenannten Schönberg Kreis, der Malunterricht in seinem Atelier, das Modellstehen – all das hatte sie von der zerrütteten Ehe mit Arnold abgelenkt. Und auch Schönberg war Gerstl, dieser schwierige, mal aufbrausende, mal wortkarge Provokateur mit den extremen künstlerischen Positionen, willkommen gewesen. Als Verwandte im Geiste hatten sich die beiden kreativen Köpfe sogar empfunden. Der eine, weil er überzeugt war, "von Schönberg zu lernen, wie man malen muss". Der andere, weil er sich "in vielen Gesprächen über Kunst, Musik und alles Mögliche" durch den Maler beeinflusst wähnte.
Dass Mathilde und Richard längst eine Affäre haben und Gerstl neben radikalen exzessiven Selbstporträts auch die nackte Ehefrau malt, verdrängt Schönberg. Als er die beiden schließlich zufällig überrascht, nimmt das Liebespaar Reißaus. Anton Webern holt die Frau des Meisters zurück - der Kinder wegen. Doch Richard Gerstl wird aus dem Schönberg Kreis ausgeschlossen. Wenige Wochen hält er die gesellschaftliche Isolation aus, dann wählt er am Abend des 4. Novembers 1908 den Freitod.
Dass man so unglücklich sein kann ohne zu sterben, hätte ich mir nie vorstellen können.
Wie es in Schönberg aussieht, lässt nur das seiner Frau gewidmete Zweite Streichquartett ahnen: Es ist ein Werk tiefster privater und künstlerischer Krise, das jedoch aus den Trümmern des Vergangenen den Boden für eine neue Tonsprache bereitet. Mit Mathilde wird Schönberg kein Neuanfang gelingen. Die kommenden Jahre bleiben rein von der Vernunft bestimmt. Schönberg wird sie sich einrichten, wie er im Entwurf seines Testaments bekennt: "Um sich vor dem Selbstmord zu bewahren, vollzog er einen entscheidenden Schritt: Er trennt zwischen seiner Existenz als Privatperson und als Künstler - er schuf sich ein künstliches Ich."
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