Seit Jahren sind sich Publikum wie Kritiker einig: Hier ist ein kreatives Energiebündel am Werk. Goyo Montero scheinen die Ideen niemals auszugehen, und er ist ein Meister darin, Versatzstücke in einen neuen Kontext zu stellen. Längst werden seine Arbeiten von den international bedeutenden Ballettensembles übernommen oder in Auftrag gegeben. Wir haben mit ihm gesprochen.
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BR-KLASSIK: Herr Montero, welche Funktion hat für Sie die Musik in einem Ballett?
Goyo Montero: Musik ist für mich als Choreograph die erste Inspirationsquelle. Es ist einfach der Anfang. Selten gibt es zuerst eine Idee für ein Bühnenelement oder eine Lichtquelle, oder durch Literatur oder meine eigenen Erfahrungen. Aber es ist sehr oft die Musik.
BR-KLASSIK: Wie gehen Sie als Schöpfer von modernen Tanzstücken mit klassischen Balletten um?
Goyo Montero: Ich komme vom klassischen Ballett, ich bin ausgebildeter Balletttänzer. Meine Eltern waren auch Tänzer und Choreographen. Daher bin ich mit dieser Welt aufgewachsen. Für mich ist die klassische Musik und ihre Dramaturgie da, um etwas Neues zu erschaffen.
Wenn ich zum Beispiel "Dornröschen" höre, versuche ich als zeitgenössischer Choreograph, die Musik neu zu hören. Was bedeutet sie für mich persönlich, was ist meine Geschichte von "Dornröschen"? Ich verstehe klassische Musik und zeitgenössische Musik genau gleich: als einen Anlass, um etwas Neues zu bauen.
Nichts ist heilig in der Kunst.
BR-KLASSIK: Nach welchen Kriterien suchen Sie die Musik für ein neues Stück aus?
Goyo Montero: Die Frage lautet: Was brauchen wir für unseren nächsten Schritt? Ich versuche, die Zuschauer in verschiedene Richtungen zu bringen. Das ist manchmal angenehm und lustig, manchmal ist es nicht bequem. Aber es ist unsere Aufgabe, herauszufordern.
Seit 14 Jahren versuche ich, für jedes Stück ganz neu zu denken. Dieser Anspruch ist für mich hier in Nürnberg ein großer Druck, weil das Publikum seit 2008 gleich geblieben ist. Ich denke, ich bin hier, weil das Publikum mir den Auftrag gegeben hat, etwas Neues zu erforschen, oder eine unbekannte Reise anzutreten. Ich selbst habe diesen Anspruch – und in dem Moment, in dem ich denken sollte, dass ich alles geschafft habe und es hier bequem ist, in dem Moment werde ich die Stadt verlassen.
BR-KLASSIK: Ihre Abende bestehen oft aus einer abenteuerlichen Zusammenstellung von Musikstücken. So kombinierten Sie Lieder von Jeff Buckley mit der Musik von Béla Bartók, Mozart und PJ Harvey. Und nicht nur das, Sie brechen auch Werke auseinander, setzen andere Musiken zwischen die Sätze oder Variationen. Warum?
Goyo Montero: Manchmal kannst du ein Stück nicht in seiner Originalform machen, sondern du musst deinen eigenen Weg finden. Ich versuche immer, mich der Musik respektvoll zu nähern. Und oft frage ich Musiker*Innen nach ihrer Meinung, ob man das verantworten kann, eine Komposition auseinanderzubrechen.
Aber ich denke, nichts ist heilig in der Kunst. Ich halte es für unsere Aufgabe, alte Musik neu zu verwenden. Es ist unsere Pflicht, Wagnisse einzugehen. Erst im Nachhinein stellt sich der Weg entweder als richtig heraus oder als Fehler. Aber ich habe im Laufe der Jahre festgestellt, dass es fast immer funktioniert.
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Ballett-Online-Uraufführung
Tanzstück "Über den Wolf" von Goyo Montero
Goyo Montero wurde 1975 in Madrid geboren. Der Tanz wird ihm schon in die Wiege gelegt, seine Eltern waren Tänzer und Choreographen. "Ich bin mit dieser Welt aufgewachsen", sagt Montero über sich selbst.
Seine Ausbildung zum klassischen Balletttänzer erhielt er zunächst in Madrid bei Carmen Roche und am Königlichen Konservatorium für Professionellen Tanz, später an der Schule des Kubanischen Nationalballetts in Havanna.
Bildquelle: © Jesús Vallinas Als Tänzer wurde er unter anderem 1994 mit dem renommierten Prix de Lausanne sowie der Goldmedaille und dem Großen Preis beim Internationalen Ballettwettbewerb Luxemburg ausgezeichnet. Kritiker des Dance Europe Magazine nominierten ihn als Besten Tänzer der Saison 2003/2004.
Auch als Choreograph wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis Villa de Madrid, dem 1. Preis des Iberoamerikanischen Choreographie-Wettbewerbs, dem Preis Villanueva und dem Preis Teatro de Madrid. Außerdem wurde er vom spanischen Kultusministerium mit dem Premio Nacional de Danza geehrt. Für seine Arbeit in Nürnberg erhielt er den Kulturpreis der IHK der Mittelfränkischen Wirtschaft sowie den Kulturpreis Bayern.
Bildquelle: © Jesús Vallinas Seit der Spielzeit 2008/2009 ist Goyo Montero am Staatstheater Nürnberg künstlerischer Direktor und Chefchoreograph des Balletts. Bis jetzt schuf er für seine Kompagnie 22 Uraufführungen. Unter seiner Direktion wurde dem Ballett des Staatstheaters Nürnberg 2018 der Deutsche Tanzpreis für "herausragende Entwicklung im Tanz" verliehen. Internationale Tanzmagazine kürten ihn zum "Choreograph des Jahres 2014" und nominierten ihn 2018 als "Bester Ballettdirektor".
In der Spielzeit 2020/2021 realisierte Montero in Zusammenarbeit mit BR-KLASSIK – Franken den Ballettfilm "Über den Wolf" sowie die Filmversion seiner Neukreation "Blitirí". Seine jüngste Arbeit, "Narrenschiff", wurde im Dezember 2021 einhellig gefeiert.
Sendung: "Horizonte" am 18. Januar 2022 ab 22:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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