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Interview mit Helmut Lachenmann "Ich hasse Humor!"

Am 7. und 8. Juni wird Helmut Lachenmanns lang erwartete Komposition "My Melodies" für acht Hörner und Orchester mit dem BR-Symphonieorchester im Rahmen von musica viva aus der Taufe gehoben. Lachenmann stellt sich selbst vor immer neue Herausforderungen: "Ich muss das machen, was ich nicht kann", lautet einer seiner Kernsätze. Im Interview verrät er außerdem, was er von Luigi Nono gelernt hat und warum für ihn ein neues Hören wichtiger ist als neue Klänge.

Bildquelle: © Astrid Ackermann

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Wann haben Sie zum letzten Mal eine Melodie gepfiffen oder gesungen?

Helmut Lachenmann: Ich glaube, das war gestern. Ich kam aus Italien, und es war ein alter, schöner italienischer Song. Nun weiß ich schon, dass mir inzwischen - weil ich diesen Begriff der Melodie problematisiert habe - ein gewisser Ruf vorauseilt. Eine Melodie ist eigentlich etwas Tieferes. Man muss überhaupt nicht musikalisch sein, um berührt zu werden von einem Lied wie "Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein" oder in der Kirche von einem dieser wunderbaren Choräle. Ich bin ja ein "Opfer" aus Darmstadt, bei meinem Lehrer Luigi Nono aus der strengen seriellen Schule, die nach dem Krieg versucht hat, den Musikbegriff nochmal ganz neu zu fassen.

Es war eine verdammt harte Schule.
Helmut Lachenmann über sein Studium bei Luigi Nono

BR-KLASSIK: Weil Sie Nono erwähnt haben: Da schließt sich vielleicht sogar ein Kreis, denn zwischen Ihnen und Nono spielte der Begriff der Melodie einmal eine entscheidende Rolle. Worum genau ging es damals?

Helmut Lachenmann: Ich kam 1957 nach Venedig, da war ich 21 Jahre alt und kannte eigentlich vor allem Messiaen. Und als ich dann zu Nono kam und ihm meine bisher geschriebenen Sachen zeigte, sagte er: "Raus mit diesen melodischen Wendungen!" Das war eine verdammt harte Schule. Heute bin ich dafür so dankbar, denn ich glaube, die Leute, die bei Wolfgang Fortner oder Boris Blacher studiert haben, haben diesen Bruch nicht so vollzogen wie ich es musste. Ich musste im Grunde wirklich von Null anfangen. Es war mein Ziel, irgendwie eine andere Form von Intensität zu inden, und ich habe dann etwas gemacht, was ich "musique concrète instrumentale" nannte: Man hört den Klängen an, wie sie entstehen, wie sie hervorgebracht werden.

Acht Hörner - ein einziges Instrument

BR-KLASSIK: Ihr aktuelles Stück heißt "My Melodies", und dieser Titel weckt natürlich bei vielen Hörern gewisse Assoziationen. Wie kommen Sie zum einen auf diesen Titel und zum anderen auf acht Hörner als Solisten?

Helmut Lachenmann: Ich habe wohl einen kleinen masochistischen Zug: Ich muss immer das machen, was ich nicht kann. Und die Geschichte mit den acht Hörnern war einfach: Bei der Einstudierung meiner Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern", in der auch acht Hörner vorkommen, gab es eine Teilprobe nur mit den Hornisten. Und das klang so schön - schöner als die ganze Oper. Ich dachte dann: Das ist ein neues Gerät! Es gibt dabei keine Solisten im klassischen Sinne, wo jeder einzelne eine virtuose Figur spielt oder Ähnliches. Diese acht - das ist ein einziges Instrument. Es geht nicht um neue Klänge, es geht um neues Hören. Und wenn das stimmt, dann müsste das auch bei einem C-Dur-Dreiklang funktionieren.

Ich habe ein bisschen Herzklopfen im Angesicht dessen, was ich da wohl angerichtet habe.
Helmut Lachenmann über die bevorstehende Uraufführung

BR-KLASSIK: Und kommt in Ihrem neuen Stück auch reines C-Dur vor?

Helmut Lachenmann: Ja, natürlich. Wenn etwas unter ein "Verbot" fällt, dann juckt es einen doch, irgendwie einen Zusammenhang zu finden, in dem das nicht mehr verboten ist, sondern neu beleuchtet wird. Und acht Hornisten kann ich nicht nur einfach Luft in ihr Instrument pusten lassen. Die wollen ihr Horn spielen. Das eigentliche Abenteuer steht mir aber noch bevor. Ich habe ja wirklich eine ziemlich umfangreiche Partitur geschrieben und jetzt sozusagen ein bisschen Herzklopfen, im Angesicht dessen, was ich da wohl angerichtet habe mit diesen acht Spielern.

Immer wieder neue Antennen

BR-KLASSIK: Woher nehmen Sie "Ihre" Melodien? Sind auch Zitate dabei in diesem umfangreichen Werk? Und wie lang dauert es insgesamt?

Helmut Lachenmann: Ich bin gespannt, wie lang es dauert (lacht). Ich nehme an, um die 35 Minuten auf jeden Fall. Ich habe meine Musik ja nicht aus Verbotsgründen gemacht. Aber um die Antennen auf diese Energie des Hörens zu stellen, musste ich den Blick auf die Melodie erst mal suspendieren. Das war ein Grund, dem "melodiösen" auszuweichen oder es zumindest total in Schach zu halten. Jetzt warten alle auf eine Melodie, und ich werde sie natürlich alle enttäuschen.

BR-KLASSIK: Also die klassische Melodie - mit einer gesungenen geschwungenen Linie über mehrere Takte - die wird es also nicht geben in Ihrem Stück...

Helmut Lachenmann: Die Frage ist: Auf welchem Instrument spielen wir die Melodie? Ich kann sie auch tonlos blasen lassen. Wir singen oder pfeifen doch auch manchmal ohne Ton. Für mich geht es nicht um Melodie, sondern einfach darum, immer wieder eine andere Form von Antennen im Hörer zu schaffen. Das heißt, die Idee, die man hat, kann niemals das Stück sein. Sie kann nur ein Motor sein, um etwas zu machen, das man selber nicht weiß. Ein Komponist, der genau weiß, was er will, der will doch nur das, was er weiß.

Ein fataler Marsch

Wir müssen über den Horizont hinausgelangen. Eine Melodie kann aus 15 Tönen bestehen oder aus 150 - oder aus nur einem einzigen Ton. Und ich habe leichtsinnigerweise ja noch diese "Marche fatale" geschrieben, die auch im Konzert erklingt. Das ist keine Komposition. Ich weiß ja nicht, von wem die Melodie stammt. Die kam von irgendwo her, und ich habe sie instrumentiert und arrangiert. Es gab einige Komplimente für dieses Stück, allerdings sagten auch einige: Was hat dieser Marsch denn noch mit Lachenmann zu tun?

Ich war nie happy, aber ich war glücklich.
Helmut Lachenmann über das Komponieren

BR-KLASSIK: Humor - ist das etwas, was im Alter bei Ihnen noch viel stärker zum Ausdruck kommt?

Helmut Lachenmann: (lacht) Also soll ich Ihnen etwas ekelhaftes sagen? Ich hasse Humor! Humor ist einfach lachhaft. Meine Stücke sind heiter. Ich mache einen scharfen Unterschied zwischen heiter und humorvoll. Ich liebe Karl Kraus und ich liebe die Wiener. Als sich die Katastrophe des Ersten Weltkriegs abzeichnete, sagten die Berliner: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Und die Wiener sagten: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Es gibt ein anderes Wort, das ich sehr schätze: glücklich. Henze sagte einmal zu mir: "Sie sind ein Adorno-Schüler, Sie waren noch nie happy beim Komponieren." Er hatte völlig recht: Ich war nie happy, aber ich war glücklich. Ich glaube, auch Beethoven war nie happy. "Happy" heißt: Vergiss den ganzen Kram. "Glücklich" heißt: Steh drüber, vergiss den Kram nicht, aber entdecke, dass du alles bewältigen kannst, dass du genug Energie hast.

Kunst als reflektierte Idylle

Aber um auf den Humor zurückzukommen: Einige sagten mir, sie hätten sich bei der "Marche fatale" köstlich amüsiert. Okay, warum nicht? Ich kann mich auch bei der Matthäuspassion amüsieren. Wenn ich am Karfreitag, während die Matthäuspassion läuft, mein Frühstücksei auslöffle, komme ich mir ganz evangelisch vor und genieße das als einen schönen Surround (lacht). Da habe ich eine schöne barocke Umgebung um mich herum. Die ganzen Abonnementkonzerte leben ja von dieser Art von Idylle. Dabei kann Kunst ruhig Idylle sein, aber reflektierte Idylle!

Sendung: "Leporello" am 06. Juni 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Infos zum Konzert - musica viva

Donnerstag, 07. Juni 2018, 20:00 Uhr
Freitag, 08. Juni 2018, 20:00 Uhr (Video-Livestream auf br-klassik.de/concert)

München, Herkulessaal der Residenz

Helmut Lachenmann:
"
Serynade", Musik für Klavier
"Marche fatale"
Fassung für großes Orchester | Münchner Erstaufführung
"My Melodies"
Musik für acht Hörner und Orchester, Uraufführung
Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks, mit freundlicher Unterstützung der Freunde des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks e.V.

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