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Instrumentenwissen Die Oboe – Orchesterherz auf Messers Schneide

Es heißt, die Oboe sei das Herz des Orchesters. Für ihren berührenden und reinen Klang wird von den Oboisten selbst am Mundstück geschnitzt, gehobelt und gefeilt. Wir stimmen Sie auf dieses Instrument ein und räumen mit einigen Mythen auf.

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Instrumentenwissen

Die Oboe – auf Messers Schneide

Die Oboe gilt als das Herz des Orchesters. Von der „Anatomie“ des Orchester her, sitzt sie ja meistens mittig links. Doch sind es wohl diese ganz besonderen, ergreifenden Oboen-Momente, die  Anlass für so ein schönes Kompliment sind. Da wären zum Beispiel die Soli in Bachs Passionen, Brahms Violinkonzert, Schuberts Unvollendete und und und. Weil sie etwas näselt, hat Prokofiev ihr die Stimme der Ente bei "Peter und der Wolf" zugeschrieben.

Nie grell oder vordergründig

Marie-Luise Modersohn, Solo-Oboistin der Münchner Philharmoniker, drückt es so aus: "Die Oboe wird oft von den Komponisten als etwas Menschliches eingesetzt, die menschliche Stimme. Als etwas Durchdringendes. Aber ihr Ton ist ja eigentlich nie grell oder vordergründig laut, man muss sich anstrengen ihn herauszuhören." Dass man sich anzustrengen muss, sie herauszuhören, liegt auch daran, dass sie so vielseitig klingen kann. Etwa in der Unvollendeten, wenn sie sich mit der Klarinette mischt, muss man zweimal hinhören, wer da gerade eigentlich spielt.

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Ob heller Streicherklang oder tiefes Blech, ob gezupft oder geschlagen: Wir stellen Ihnen verschiedene Instrumente vor – und räumen mit so machen Mythen und Klischees auf. Alle bisher vorgestellten Instrumente im Überblick

Die Oboe gibt den Ton vor

Das A der Oboe ist das erste, das man vor jedem Konzert mit Orchester hört. Weil man ihr den reinsten Klang nachsagt, darf sie den Stimmton vorgeben – eine lange Tradition, an der man auch nicht rütteln mag. Marie-Luise Modersohn und ihre Kollegen sind sich der wichtigen Aufgabe bewusst: "Das ist eine wahnsinnig wichtige Aufgabe, die wir da haben und wir bemühen uns immer sehr."

Schwierig zu spielen - das war früher

Marie-Luise Modersohn | Bildquelle: Wildundleise Marie-Luise Modersohn, Solo-Oboistin der Münchner Philharmoniker | Bildquelle: Wildundleise Ob sie das schwierigste Instrument ist? Das stimmt nicht unbedingt, meint Marie-Luise Modersohn. Zumindest sei die Oboe nicht unbedingt schwerer als andere Instrumente. Dass man erst mit 14 oder 16 Jahren mit der Oboe anfangen kann, weil es so anstrengend ist, einen Ton aus ihr herauszubekommen, ist ebenfalls eine überholte Annahme. Dass in seinem Fachgeschäft auch durchaus junge Kundinnen einkaufen, beobachtet Stephan Pieger: "Der Hintergrund ist, dass die Klangvorstellung und die Instrumente (in den 70er- und 80er-Jahren) ein sehr schweres Rohr bedingt haben. Das ist glücklicherweise anders geworden. Es gibt jetzt auch Fünfjährige, die anfangen eine Oboe zu spielen."

Aber wie spielt man eigentlich Oboe?

Die Oboe hat 23 Löcher, um die eine Klappen-Mechanik gebaut sind. Die Löcher lassen sich so teilweise mit beiden Händen spielen. Auch gibt es Oktavklappen, die das Überblasen in die Oktave ermöglichen. Über 150 Einzelteilchen hat diese Mechanik bei der Oboe. Für den roten Kopf, den manche Oboistinnen und Oboisten beim Spielen bekommen, ist das Mundstück verantwortlich. Das ist sehr filigran und lässt nur wenig Luft durch, weshalb Oboisten auch immer nach einer Phrase ausatmen müssen und nicht nur einatmen, wie alle anderen Bläser.

Das Doppelrohrblatt funktioniert ähnlich wie zwei Grashalme, die man an den Mund hält, zwischendurch pustet und sie so vibrieren lässt. Bei der Oboe legt man das Rohr auf die Lippen und zieht diese etwas nach innen, sodass das Rohr komplett umschlossen ist. Wenn man nur in das Mundstück bläst, kommt ein hoher Quietschton dabei heraus. Dass die Oboistinnen und Oboisten so lange Phrasen spielen können, liegt dann daran, dass sie die zirkuläre Atmung beherrschen. Das heißt: Sie können beim Spielen gleichzeitig einatmen.

Das Rohr, das Rohr, das Rohr!

Oboenbau - Rohr | Bildquelle: Denise Maurer Die verschiedenen Stationen beim Rohrbau - vom Schilfrohr zum Doppelrohrblatt | Bildquelle: Denise Maurer Es ist omnipräsent und ja, man kann fast sagen – genauso wichtig für den Klang wie Üben. Denn jeder Oboist, der etwas auf sich hält, baut es selbst. Oboistin Marie-Luise Modersohn bestätigt: Es ist zeitaufwendiger als man denkt: "Von A bis Z ein Rohr zu bauen, das dauert bei mir zwei Stunden, man baut ja nicht nur eins, man baut ja immer mehrere. Um ein richtiges Top-Rohr zu bauen, muss ich manchmal zehn Stück bauen." Ihre Top-Rohre schont Marie-Luise Modersohn für die Konzerte. Doch mehr als fünf Konzerte hält ein Rohr nicht. Deshalb hat Marie-Luise Modersohn immer an die 30 Rohre dabei – gerade bei Konzertreisen. So kann sie sich sicher sein, dass sie je nach Saal und Luftfeuchtigkeit das passende dabei hat.

Feinschliff to go

Die verschiedenen Stationen beim Rohrbau - vom Schilfrohr zum Doppelrohrblatt | Bildquelle: Denise Maurer Die Oboe ist ein filigranes Instrument, das gut gepflegt sein will. | Bildquelle: Denise Maurer In ihrer Tasche darf aber auch nicht ihr kleines Werkzeugtäschchen fehlen: mit Teppichmesser für kleine Schnitzarbeiten (Vorsicht gefährlich!), ein Dorn, auf dem das Mundstück aufgesetzt wird und eine Zunge, die zwischen die zwei Rohrblätter geschoben wird, um jedes einzeln zu bearbeiten. Sein eigenes Mundstück zu schnitzen, kostet zwar viel Zeit und Nerven, man kann den Klang so aber auch stets beeinflussen. "Wir haben halt das Glück und das Unglück gleichermaßen, dass wir mit dem Messer in der Hand etwas beeinflussen können", meint Marie-Luise Modersohn. Eine Mikrometer-Arbeit auf Messers Schneide, denn die Schilfhölzer sind so dünn wie Papier.

Rohstoff für das Rohr leidet unter dem Klimawandel

Künftig müssen Oboisten wahrscheinlich sogar noch mehr Rohre aussortieren, meint Stephan Pieger: "Das Mundstück ist traditioneller Weise aus Arundo Donax. Das ist eine Schilfart, die es schon sehr lange gibt. Die Qualität wird (zur Zeit) schlechter oder es wird schwieriger ein gutes Holz zu finden. Wahrscheinlich hängt es mit dem Klimawandel zusammen."

Stephan Pieger in seiner Münchner Werkstatt | Bildquelle: Denise Maurer Stephan Pieger in seiner Münchner Werkstatt | Bildquelle: Denise Maurer Arundo Donax war schon zu Anfangszeiten der Oboe wie wir sie heute kennen, also im Barock, das Material der Wahl. Doch die Ursprünge des Instruments reichen viel weiter zurück: in die Zeit der ägyptischen Hochkultur ins 15. Jahrhundert vor Christus. In der Antike gab es bei den Griechen die Aulos-Flöte, bei den Römern die Tibia. Die Vorläuferin der heutigen Oboe kam aber im 12. Jahrhundert über Sizilien aus dem persischen Raum nach Europa. So entwickelte sich die Schalmei im Mittelalter und in der Renaissance. Mitte des 17. Jahrhunderts baute dann der Franzose Jean de Hotteterre die erste Barockoboe. Oboe – das Wort kommt vom französischen "haut bois", was so viel wie "hohes Holz" bedeutet. Seit diesen Zeiten hat sich aber einiges getan, meint Stephan Pieger: "Das ist eine der Hauptentwicklungen von der Barockoboe zur heutigen Oboe. Sie wurde deutlich lauter." War die Barockoboe aus weicherem Buchsbaumholz, ist die heutige Oboe aus härterem, also lauterem Holz: Und zwar Grenadill – eine Palisanderart.

"Dann kamen sukzessive mehr Klappen hinzu", erklärt Stephan Pieger weiter. Wo es früher nur für die tiefsten Töne Klappen gab, gibt es nun eben für jedes Loch eine. Auch die Bohrung hatte sich weiterentwickelt, der Tonumfang wuchs vor allem nach oben. Mit der Einführung der französischen Conservatoire Mechanik im 19. Jahrhundert ist die größte Entwicklung abgeschlossen. Man kann also getrost sagen: Frankreich ist die Wiege der Oboe.

Facharzt Oboenbauer

Die Solo-Oboistin der Münchner Philharmoniker Marie-Luise Modersohn pflegt regen Kontakt mit ihrer Oboenbau-Meisterin Sophie Sibille. Das ist kein Wunder, denn gerade die komplexe, filigrane Mechanik ist anfällig für Reparaturen. So lief etwa während des Weihnachtoratorium Wachs in das Oktavloch ihrer Oboe d’amore und machte dieses obsolet – ein Albtraum. Sophie Sibille war zufällig anwesend und konnte in der Konzertpause mit einigen Handgriffen das Wachs entfernen und die Oboe wieder flott machen. Verstopfte Löcher, defekte Mechanik: Das sind auch die meisten Reparaturarbeiten in Stephan Piegers Werkstatt. Hinzu kommen noch Risse im Holz: 

"Dass es Risse in den Instrumenten gibt, das gibt es schon seit es Oboen gibt. Es ist einfach physikalisch schwierig, wenn man sich vorstellt, man bläst warme Luft ins Instrument rein, – das Holz möchte sich ausdehnen – und außen ist die Luft nicht so warm." So kosten Oboen zwar "nur" zwischen 4.000 und 18.000 Euro, halten manchmal aber lediglich einige Jahre.  

Oboe d’amore und Englischhorn

Zwei tiefere Schwestern hat die Oboe übrigens auch: Das Englischhorn kennt man aus der Ouvertüre zu "Wilhelm Tell" von Rossini. Es hat diesen dunklen, melancholischen Ton. Die mittelgroße Oboe d’amore kann manchmal etwas orientalisch klingen, sinnlich, wie bei Ravels Bolero. Auch Bach hat sie gerne eingesetzt, wie eben in seinem Weihnachtsoratorium. Bach ist übrigens auch der Lieblingskomponist von Marie-Luise Modersohn: "Wenn ich ein Jahr habe ohne Bach, dann bin ich todtraurig. Bach hat so ergreifende Musik für Oboe geschrieben."

Sendung: "Allegro" am 15. November 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Mittwoch, 15.November, 18:25 Uhr

Franziska

Mundstück gibt es nur beim Blech

Schöner Artikel, aber bitte nennt das Rohr nicht Mundstück. Da rollen sich allen Oboist:innen die Fußnägel hoch. Mundstück gibt's bei Blechinstrumenten, aber wir nennen es Rohr - ohne Ausnahmen.

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