Für eine Konzert-Tournee will Sergej Prokofjew erstmals wieder in die "unheimliche UdSSR" zurückkehren, nachdem er nach der Oktoberrevolution 1918 Russland den Rücken kehrte. An der Grenze beschleichen ihn allerdings Zweifel. Soll er vielleicht doch besser umkehren?
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Im Zug an der lettisch-russischen Grenze: "Es war ein wolkenloser Sonnentag. Minus 15 Grad. Den Kopf voller Gedanken fuhren wir in die unheimliche UdSSR. Jetzt ist der letzte Moment, die Deichsel noch herumzureißen. Auf so etwas kann man schon kommen, wenn es um Leben und Tod geht.“
Sergej Prokofjew fährt mit seiner Frau Lina für mehrere Wochen in die Sowjetunion, eine Konzert-Tournee. Die erste, zugegeben, nach der Oktoberrevolution. Seit Prokofjew seine Heimat verlassen hat, sind nicht viele Steine aufeinander geblieben. Das Zarenreich ist Geschichte, Josef Stalin regiert jetzt mit harter Hand. Die Prokofjews, im Westen ein modernes und luxuriöses Leben gewohnt, staunen nicht schlecht: "Beim Zoll wussten sie nicht, was ein Pyjama ist."
"Obwohl die Station nicht besonders groß war, entdeckten wir am Zeitungsstand alle Musik- und Kunstzeitschriften. Ich schaute nach, was sie über meine Ankunft schrieben. Aber sie schrieben wenig - hauptsächlich stehen dort die Reden der politischen Spitzen", erinnert sich Prokofjew.
Sergej Prokofjew mit seiner ersten Frau Lina Llubera und den zwei Söhnen, Foto aus den 30er-Jahren | Bildquelle: Wikimedia Commons/Public Domain Die ersten Schritte durch Moskau werden für die Prokofjews eine surreale Begegnung mit der neuen, alten Heimat: "Wir fallen in ein Taxi, von denen es in Moskau nicht viele gibt. Im Hotel Metropol überall der entsetztlichste Schmutz, mit Ausnahme unseres Korridors. Als erstes brauchte ich ein Instrument auf dem Zimmer. Der Flügel der Musikalienhandlung 'Kniga' war nicht geeignet, er war zu abgedroschen."
Im Zimmer gleich ein großer Empfang: Prokofjew trifft Freunde, Bekannte und Journalisten und muss aufpassen, dass er keine Dummheiten sagt. Ansonsten wundert er sich über die Filzstiefel, die ungewöhnlichen Mützen und Pelze, "kurz eben die Dekoration, die anreisende Ausländer so einschüchtert". Der Kaffee in Messingbechern, der Kaviar sündhaft teuer, fremde Welten. Zwischendurch flackern Erinnerungen hoch: "Grandiose Schlagsahne und Moosbeerensaft, und überhaupt eine Menge vorzüglicher und halbvergessener Sachen."
Todmüde fallen Lina und Sergej am Abend ins Hotel-Bett. "Die Laken aus erstaunlich feinem Stoff“, fällt ihnen noch auf, bevor sie flüsternd ihre Eindrücke austauschen: "An Mikrofone, die unter den Betten installiert sind - von so etwas erzählt man in Emigrantenkreisen - glauben wir nicht." Es sollte nicht Prokofjews einzige Fehleinschätzung bleiben, auf dieser Reise 1927 in die Sowjetunion.
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