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Was heute geschah - 10. Februar 1948 Komponisten während der Stalinherrschaft

Den sowjetischen Machthabern der Stalin-Ära waren Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch oder Sergej Prokofjew ein Dorn im Auge. Zu unangepasst, zu wenig propagandistisch verwertbar waren sie. Die Oper "Die große Freundschaft“ von Wano Muradeli diente schließlich als Alibi für ein folgenreiches Dekret der KPdSU.

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Klassisch totalitärer Psycho-Terror - Komponisten während der Stalin-Ära

"Die Hauptmängel der Oper liegen vor allem in ihrer Musik. Sie ist ausdruckslos und arm, chaotisch und disharmonisch, durchweg auf in den Ohren gellenden Tonverbindungen aufgebaut. Sie hinterlässt einen dürftigen Eindruck" - so heißt es in einem offiziellen Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU über die Oper "Die große Freundschaft“ von Wano Muradeli.
Heute kennt das Stück des 1908 in Georgien geborenen Komponisten niemand mehr, auch damals war "Die große Freundschaft“ kein Publikumsmagnet. Wieso konnte eine derart unbekannte Oper die sowjetischen Kulturfunktionäre der Stalin-Ära mit ihrem Chef-Ideologen Andrej Shdanov an der Spitze bis aufs Messer reizen? Mehr noch: den Ausschlag geben für eine Partei-Resolution zu Grundsatzfragen der sowjetischen Musik?

Muradelis' Oper als Alibi-Werk

Porträt Sergej Prokofjew  | Bildquelle: picture-alliance/dpa Sergej Prokofjew: "Ich werde eine klare, verständliche und volksnahe Sprache suchen." | Bildquelle: picture-alliance/dpa Natürlich ist Muradelis Oper nicht der Kern der aufgeheizten Debatte, die seit Monaten schwelt und deren Ergebnis jenes totalitäre Dekret vom 10. Februar 1948 ist. Sie ist eher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Und das Alibi-Werk, anhand dessen ein Exempel statuiert wird, das eigentlich andere treffen soll. Das Problem ist in den Augen von Stalins Kultur-Überwachern größer; sie sind grundsätzlich unzufrieden mit den neuen Kompositionen von Prokofjew, Schostakowitsch und anderen und bemängeln, dass in der Sowjetmusik keinerlei Umstellung erfolge. Das heißt übersetzt: keiner der Großen komponiert angepasste, massentaugliche, parteipolitisch-propagandistisch verwertbare Musik. Prokofjew, Schostakowitsch, Mjaskowskij, Chatschaturjan – sie alle sind eigenständig, zu extravagant, zu gut. Ihre Musik ist ideologisch nicht verwertbar. Das ärgert Stalins Schergen: "Besonders schlimm steht es um die Schaffung von Symphonien und Opern. Gemeint sind die Tondichter, sich in einem engeren Kreis von Fachleuten und musikalischen Feinschmeckern abkapselten und die Bedeutung der Musik schmälerten, die sie auf die Befriedigung des entarteten Geschmacks ästhetelnder Individualisten beschränkten."

Wider den Individualismus

Individualismus, Hochkultur, komplexe Themen und differenzierte Ausdrucksmittel – all das taugt nichts im holzschnittartigen sozialistischen Realismus, der Gebrauchsmusik instrumentalisiert und dringend Heldenklänge, Triumphmärsche und Siegeshymnen braucht, um die Ideologie zu stützen. Am 10. Februar 1948 platzt Stalin und seinen Exekutoren endgültig der Kragen, die Forderung ist klar und unmissverständlich.

Das ZK der KPdSU ist der Meinung, dass eine solche Einstellung nicht länger geduldet werden kann. Das Sowjetvolk erwartet von den Komponisten qualitativ und ideologisch hochwertige Tonschöpfungen aller Genres.
Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion

"Wie bei einer öffentlichen Hinrichtung"

Porträt Dmitrij Schostakowitsch | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dmitri Schostakowitsch: mit subtilen Mitteln gegen den Psychoterror der Sowjet-Machthaber. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Was folgt, ist eine Sitzung des Moskauer Komponistenverbandes, bei der Wano Muradeli bereitwillig und devot zu Kreuze kriecht, und die eigentlich Angeklagten erste drastische Sanktionen zu spüren bekommen. Sopranistin Galina Wischnewskaja, die Frau von Mstislav Rostropovitch, erinnert sich: "Schostakowitsch saß in jener Februarversammlung, in deren Gedränge keine Stecknadel mehr Platz gefunden hätte, allein in einer Sitzreihe. Das ist bei uns so üblich: Niemand setzt sich neben das Opfer - wie bei einer öffentlichen Hinrichtung."
Auch zwei Monate später kommt die sowjetische Musikwelt nicht zur Ruhe. Beim Unionskongress der sowjetischen Komponisten im April 1948 stehen Schostakowitsch, Prokofjew und der vermeintliche Urheber der Misere Wano Muradeli wieder unter Beschuss. Fünf Tage lang werden sie attackiert, besonders krasse Worte findet ihr stromlinienförmiger Komponistenkollege Tichon Chrennikow, der gleich alles beschimpft, was im 20. Jahrhundert an großer Musik komponiert wurde: Strawinskys "Sacre du Printemps“, die Werke von Hindemith, Krenek, Britten. An Schostakowitschs Stücken kritisiert er "die abstrakte Sprache" und "die expressionistischen Krämpfe, die neurotischen Erscheinungen und die Flucht in anormale, abstoßende und pathologische Regionen."

"Einen Weg zum Herzen des Volkes finden"

Nicht nur Muradeli, auch die großen Geister haben keine Chance gegen die totalitäre Machtkultur: Prokofjew erscheint nicht persönlich auf dem Kongress, sichert aber per Brief zu: "Ich werde eine klare, verständliche und volksnahe Sprache suchen." Schostakowitsch redet am sechsten Tag und schließt ebenfalls mit dem Versprechen: "Ich sollte und ich will einen Weg zum Herzen des Volkes finden.“

Lippenbekenntnisse? Sergej Prokofjew wird nach dieser Attacke, gesundheitlich gezeichnet, noch fünf Jahre leben und vornehmlich milde Werke wie die 7. Symphonie komponieren. Dmitrij Schostakowitsch, nicht zum ersten Mal im Kreuzfeuer der Kritik, wird seinen Weg der subtilen Distanzierung und des subkutanen künstlerischen Widerstands fortsetzen und noch viele bedeutende Werke komponieren. Dennoch hat sich der 10. Februar 1948 tief in die Biographien aller sowjetrussischen Komponisten eingegraben: klassisch totalitärer Psycho-Terror, von dem sich keiner der Künstler seelisch je wieder vollständig erholt hat.

Was heute geschah - 10. Februar 1948

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenwerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 8.30 Uhr und um 16.40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

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