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Riccardo Muti im Gespräch "Schubert wollte so gerne lieben"

Riccardo Muti ist ein gern gesehener Gast am Pult von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Am 17. und 18. Oktober war er wieder in München und dirigierte ein reines Schubert-Programm: die Ouvertüre C-Dur im italienischen Stil, die "Unvollendete" und die späte Es-Dur-Messe. Im Interview verrät er, warum Schuberts Musik wichtig für ihn ist, wie sich sein unglückliches Leben in der Musik widerspiegelt und warum die Botschaft der Messe heute für uns besonders wichtig ist.

Riccardo Muti | Bildquelle: Todd Rosenberg

Bildquelle: Todd Rosenberg

BR-KLASSIK: Maestro Muti, ein reines Schubert-Programm mit drei Werken aus drei Gattungen – was hat Sie auf diese Idee gebracht?

Riccardo Muti: Ich habe schon immer eine sehr enge Beziehung zu Schuberts Musik gehabt. Schubert ist für jeden Dirigenten und vor allem für jedes Orchester wichtig. Denn seine Musik erfordert eine große Disziplin im Klang und in der Phrasierung, und gleichzeitig Eleganz und Respekt gegenüber der Melodie. Ich habe für dieses Konzert ein Programm zusammengestellt, das mit der "Ouvertüre im italienischen Stil" beginnt. Es ist ein wirklich geniales Werk, denn man merkt hier, wie gut Schubert den Humor, aber auch die Melancholie der italienischen Musik jener Zeit verstanden hat. Von dieser italienischen Seite gehen wir weiter zur "Unvollendeten", die das absolute Gegenstück dazu ist.

Messe für eine Welt ohne Frieden

Das Schlussstück wird dann die große Messe sein. Diese Messe ist eine der ganz großen Kathedralen in der geistlichen Musik. Gerade in diesen Zeiten, in denen unsere Welt in Flammen steht, in denen wir von sterbenden Kindern in Syrien hören, in einer Welt ohne Frieden, kommt dem "Dona nobis pacem" als Abschluss des Konzerts eine ganz besondere Bedeutung zu.

Man fühlt, dass Schubert sich in einer anderen Welt befand.
Riccardo Muti zu Schuberts Es-Dur-Messe

Musik in der Nähe des Todes

BR-KLASSIK: Die Es-Dur-Messe stammt aus Schuberts letztem Lebensjahr. Besonders düster klingt sie aber eigentlich nicht. Sehen Sie das auch so? Oder merkt man der Musik doch an, dass sie so kurz vor Schuberts Tod entstanden ist?

Franz Schubert, Aquarell, Mai 1825, von Wilhelm August Rieder (1796-1880) | Bildquelle: Wikimedia Commons Seiner Musik ist Riccardo Mutis Konzert mit dem BRSO gewidmet: Franz Schubert | Bildquelle: Wikimedia Commons Riccardo Muti: Im Finale – im "Agnus Dei" – hört man es schon. Das "Agnus Dei" beginnt sehr dramatisch. Das "Credo" ist sehr geheimnisvoll, es kommt fast schüchtern daher, als würde Schubert sagen wollen: Vielleicht glaube ich, vielleicht aber auch nicht. Man spürt hier eine gewisse Unsicherheit. Das "Et resurrexit" ist dann wieder sehr positiv. Aber im Großen und Ganzen hat diese Messe für mich etwas sehr Mysteriöses. Man fühlt, dass Schubert sich in einer anderen Welt befand. Wenn man eine solche ergreifende Musik schreibt, fühlt man sich vielleicht tatsächlich bereits in einer anderen Lebensphase oder sogar dem Tode nahe.

Schuberts Melancholie und Traurigkeit

BR-KLASSIK: Kommen wir auf die "Unvollendete" zu sprechen, eines der großen Rätselwerke Schuberts. Was ist für Sie das Besondere an dieser Symphonie?

Riccardo Muti: Das Überraschende an dieser Symphonie ist, dass die beiden vorhandenen Sätze, so wie sie existieren, bereits vollkommen sind. Und zwar so sehr, dass man sich einen dritten oder vierten Satz gar nicht vorstellen kann. Sie ähneln sich in ihrer Anmutung. Beide haben die gleiche Rhythmik – und das über fast 20 Minuten. Trotzdem unterscheiden sie sich völlig voneinander. Jeder kennt das Thema des ersten Satzes. Die bekannte Melodie geht so leicht ins Ohr, dass man meint, sie laut heraussingen zu müssen. Doch darin stecken die Tiefe, die Melancholie, Traurigkeit und Innigkeit, die für Schuberts Musik typisch sind.

Schubert war verzweifelt, weil er spürte, dass er nicht lange zu leben hatte.
Riccardo Muti

BR-KLASSIK: Die Symphonie wirkt ein wenig wie eine Utopie oder eine Hoffnung, die immer wieder mit der realen, auch brutalen Welt konfrontiert wird. Kann man es so vielleicht beschreiben?

Ein Leben ohne Gefühle?

Riccardo Muti: Ich glaube, dass die wahre Seele Schuberts in dieser zärtlichen Melodie zu finden ist. Die musikalischen Verzweiflungsschreie stehen für sein unglückliches Leben, sein Leben ohne Gefühle, ohne Liebe. Er wollte so gerne lieben, aber er wurde nicht geliebt. Er war verzweifelt, weil er wohl spürte, dass er nicht lange zu leben hatte. Es gibt also diesen Konflikt zwischen seiner wahren Seele und seiner Verzweiflung gegenüber der Ungerechtigkeit der Natur.

Langjährige Zusammenarbeit mit dem BRSO

BR-KLASSIK: Sie arbeiten schon sehr lange mit Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Was zeichnet die Arbeit mit diesen beiden Klangkörpern für Sie aus?

Riccardo Muti: In den letzten Jahren dirigiere ich nur noch wenige Orchester. Mein Chicago Symphony Orchestra, das BR-Symphonieorchester und die Wiener Philharmoniker, die mich ein Leben lang begleiten. Das BR-Symphonieorchester dirigiere ich schon seit 38 Jahren. Und auch den Chor. Der Chor des Bayerischen Rundfunks gehört für mich zu den großartigsten Chören der Welt. Ich freue mich darauf, auch weiterhin mit beiden Ensembles zusammen zu arbeiten. Ich wünsche den beiden eine erfolgreiche Zukunft.

Sendung: "Leporello" am 17. Oktober 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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