New York 12. Januar 1931. Der Komponist und Pianist Sergej Rachmaninow unterzeichnet einen Zeitungsartikel gegen die Kulturpolitik der Sowjetunion. Die Sowjetpresse fällt über den Emigranten her und erteilt seiner Musik ein faktisches Aufführungsverbot.
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Eigentlich ist Sergej Rachmaninov nicht der Typ, der sich politisch engagiert, der sich hitzköpfig irgendwo einmischt. Doch die wirtschaftliche und künstlerische Lage in seiner alten Heimat macht ihm Sorgen. Er fühlt sich immer noch als Russe, obwohl er bereits vor 13 Jahren emigriert ist. Rachmaninov schreibt auch in Amerika nur russisch, lässt russisch kochen, denkt russisch und komponiert russisch: "Ich bin ein russischer Komponist. Das Land meiner Geburt hat meinen Charakter und meine Anschauung beeinflusst. Meine Musik ist also insoweit russische Musik." Entsprechend wichtig ist es ihm, alte Freunde und Bekannte in Russland zu unterstützen. Seit den frühen 1920-er Jahren schickt er regelmäßig Geld und Lebensmittelpakete. Rachmaninow spendet hohe Summen an verschiedene kulturelle Einrichtungen in Moskau, Leningrad, in Charkow und Kiew. Er will den kulturellen Aufbau vorantreiben, so gut ihm das eben aus der Ferne möglich ist.
Aber die Funktionäre in der Sowjetunion haben ihre eigene, restriktive und vor allem ideologische Auffassung von Kunst und Kultur. In Amerika interessiert das jedoch Niemanden, außer … die Exilrussen. Also bereitet der amerikanische Circle of Russian Culture einen anklagenden und aufklärenden Artikel vor. Rachmaninow zögert keine Sekunde und unterschreibt in der Hoffnung, dadurch etwas bewegen zu können. Drei Tage später, am 15. Januar 1931 erscheint der antisowjetische Artikel in der "New York Times".
Eine organisierte Kommunistenbande ist im Begriff, kein vorbildliches Erziehungssystem zu schaffen, sondern ideologischen Terror auszuüben!
So steht es in dem Artikel. Dass allein das Wort "Terror" der "Kommunistenbande" überhaupt nicht gefällt, kann man sich leicht ausmalen. Der Text bleibt nicht ohne Folgen für den Komponisten: die sowjetische Presse fällt über ihn her, wie ein ausgehungerter Falke über ein Küken. Rachmaninow wird beleidigt und beschimpft. All das hält der Komponist noch einigermaßen aus, sind es doch "nur" Worte. Aber den Boykott seiner Werke in der Sowjetunion macht ihn traurig. Es ist, als ob ein durchsichtiger und doch starker Faden in seine geliebte Heimat durchgerissen wurde. Über zwei Jahre dauert dieses faktische Aufführungsverbot.
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Rachmaninov: Symphony No. 3 in A minor, Op. 44 (Ashkenazy, Koninklijk Concertgebouworkest)
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Sendung: "Allegro" am 12. Januar 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK