Johann Sebastian Bachs Suiten für Cello solo entstanden vermutlich zwischen 1720 und 1723 und werden von Nummer eins bis Nummer sechs immer anspruchsvoller. Die letzte der Suiten ist damit sowohl die längste als auch die schwierigste von allen. Julia Smilga stellt sie gemeinsam mit dem Cellisten David Geringas vor.
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Erst wollte - und konnte - sie kaum jemand spielen: Die sechs Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach waren unter Cellisten als großformatige Etüden für Virtuosen verschrien, anspruchsvoll und vertrackt. Einer breiten Öffentlichkeit kamen die Cellosuiten erst durch Pablo Casals ins Bewusstsein. Anfang des 20. Jahrhunderts war er der erste, der sie komplett aufführte.
Viele Geheimnisse umranken die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach. Man weiß bis heute nicht genau, wann sie komponiert wurden. Es existiert auch keine Urschrift von Bach selbst. Die Suite Nr. 6 gibt ein zusätzliches Rätsel auf: Hier verlangt Bach nach einem fünfsaitigen Instrument, das eine zusätzliche, eine Quinte über der a-Saite liegende Saite besitzen soll. Was genau das für ein Instrument war, hat endlose Debatten ausgelöst. Bachs Biograph Philipp Spitta zum Beispiel glaubte, es handelt sich dabei um eine "Viola pomposa" - ein angeblich von Bach erfundenes Instrument in Tenor- Bass-Lage, das auf dem Arm gehalten wird. Allerdings soll Bach erst später dieses Instrument erfunden haben.
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Johann Sebastian Bach | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Cellist David Geringas hält sich an die andere Version, die besagt, dass Bach die 6. Suite für ein fünfsaitiges Violoncello piccolo oder gar normal großes fünfsaitiges Cello komponiert hatte. Beide Instrumente waren zu Bachs Zeiten verbreitet. Heute gibt es sie nicht mehr, also hat sich David Geringas ein solches Instrument extra für diese Suite konstruieren lassen. "Ich wusste nicht, was ich damit anfangen würde, außer diese Suite zu spielen", sagt der Cellist. "Ich habe auch später nicht so viel damit gemacht, aber ich habe das Stück seitdem immer nur auf fünfsaitigen Instrumenten gespielt. Es hat sich herausgestellt, dass das Instrument den Inhalt der Musik diktiert und die Wege für die Interpretation zeigt."
Es zeigt sich einfach, dass Bach das Instrument hervorragend gut kannte.
Die zusätzliche Saite ermöglicht dem Solisten das höchste Register auszunutzen - bis zum zweigestrichenen "G". Außerdem: "Auf den fünf Saiten geht man noch weiter in die Breite", erläutert David Geringas. "Es eröffnet dem Spiel andere Dimensionen. Wenn man auf dem viersaitigen Cello Akkorde greift, dann muss man, bei dreistimmigen Akkorden, alle Saiten mit den Fingern antippen. Auf dem fünfsaitigen Cello hingegen bleibt diese ursprüngliche Möglichkeit, viele leere Saiten zu benutzen. Es zeigt sich einfach, dass Bach das Instrument hervorragend gut kannte."
Der Cellist David Geringas | Bildquelle: picture-alliance/dpa Welches Instrument auch ursprünglich gemeint war: Bach jedenfalls macht ausgiebig Gebrauch von dessem höheren Register und den virtuosen Möglichkeiten. Das tritt bereits mit dem glanzvollen Gigue-artigen Prelude zutage. Die darauffolgende filigrane Allemande mit ihren breiten Phrasen, kunstvollen Verzierungen und einer stattlichen Dauer von über acht Minuten gilt als Ruhepol in der Suite. Die folgende forsche Courante und die strahlende Sarabande bieten einen starken Kontrast zu der ruhigen Allemande und stellen hohe Ansprüche an die Virtuosität des Interpreten. Für David Geringas ist bei dem Werk aber noch ein anderes formgebendes Mittel wichtig: "Das Element der Zeit - der zeitliche Impuls - das Zeitmaß - bleibt bei der ganzen Suite gleich, trotz verschiedener Taktarten in den einzelnen Sätzen. In jedem Satz ein Tempo zu finden, das dem Zeitmaß entspricht, das hilft uns zum Beispiel, die langsamen Sätze nicht zu langsam zu spielen und die schnellen nicht zu schnell. Das bringt uns in eine Einheit."
Das ist die Superlative aller Möglichkeiten, die damals auf dem Cello zur Verfügung standen.
Nach den tänzerischen Gavotten I und II lässt Bach die letzte seiner Cellosuiten mit einer kraftvoll bewegten Gigue abschließen - mit einer Kaskade aus virtuosen Passagen. Für David Geringas ist die Suite Nr. 6 ein absolutes Meisterwerk: "Das ist die Superlative aller Möglichkeiten, die damals auf dem Cello zur Verfügung standen - von Geläufigkeit, von Diapason, tiefsten Ausdruck. Bach hat in der sechsten Suite alle Register gezogen: Schwierigkeitsgrad, Ausdrucksmöglichkeiten und Geschicklichkeit des Instrumentalisten. In Allem hat er einfach ein superlatives Werk geschaffen."
Johann Sebastian Bach:
Suite für Violoncello solo Nr. 6 D-Dur, BWV 1012
David Geringas (Violoncello)
Label: Es-Dur
Sendung: "Das starke Stück" am 21. November 2017, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK