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Johann Sebastian Bach Orchestersuite Nr. 3

Leipzig – ein teures Pflaster! Johann Sebastian Bach beklagte sich bitterlich über das teure Leben in der Messe- und Handelsstadt. Viele Dienste, schlechte Bezahlung und obendrein der lästige Ärger mit der ignoranten Obrigkeit. Zu Lebzeiten sehnte Bach sich tatsächlich an einen anderen Ort. Nach Dresden. Er begann strategisch zu komponieren und schrieb neben den Kirchenmusiken auch Orchestersuiten für ein Ensemble musizierender Dilettanten. Französische Musik? Wiebke Matyschok hat mit dem Dirigenten Reinhard Goebel über Bachs Dritte Orchestersuite gesprochen.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Starke Stück zum Anhören

"Das geht kaum als französische Musik durch", erklärt Reinhard Goebel den Anfang von Bachs Dritter Orchestersuite. "Wenn wir im 18. Jahrhundert speziell gegen Ende des 17. Jahrhunderts von den Nachbarnationen übernommenen Formen der Musik betrachten wie zum Beispiel Concerto oder Ouvertüre oder Suite, so haben die in Deutschland eine eigene Entwicklung genommen, die nach 20 oder 30 Jahren nichts mehr mit dem, was außerhalb Deutschlands mit diesen Formen gemacht wurde, gemeinsam haben. Wenn Johann Sebastian Bach mit seinem Schulorchester von Leipzig nach Paris gefahren wäre, und er hätte dort eine seiner Ouvertüren aufgeführt, dann hätten die gesagt: Welch ein Lärm! Was soll das?“

Ärger mit den Leipziger Stadtvätern

Was soll das? Der Thomaskantor war unzufrieden in Leipzig. Er hatte seine "große Passion" vollendet, mehrere Jahreszyklen der Kantaten und stritt sich – ihm wurde eine gewisse Jähzornigkeit nachgesagt – mit den Stadtvätern Leipzigs! Diese Herren wollten nicht einsehen, dass Bach vierzehn zusätzliche Musiker brauchte. Außerdem hatten sie die Pauke, die Bach dringend vermisste, in seinen Kirchenmusiken klingen gehört. Und was interessierte sie eine dritte Oboe? Leipzig war ein teures Pflaster, das Einkommen als Thomaskantor hing teilweise von unbekannten Größen ab wie etwa musikalischen Diensten zu Begräbnissen. Bach sehnte sich nach Dresden, dem Zentrum des vermischten Geschmacks: Französische Leichtigkeit, Italienische Virtuosität und deutsche Durchdringung gaben dort – so theoretisierten Musikgelehrte – den Ton an.

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Geniale politische Schachzüge

Reinhard Goebel | Bildquelle: Christina Bleier Reinhard Goebel | Bildquelle: Christina Bleier "Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht anständig sein wollte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden", hatte Bach einmal geseufzt. Schließlich war er früh in einer Lebensstellung angekommen als Hofkapellmeister des musisch interessierten Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen. Einen Titel, den er weiterführte, als er 1823 Thomaskantor in Leipzig wurde. Als dieser Titel erlosch, gelang es ihm Titular-Kappellmeister des Fürsten von Weißenfels zu werden und außerdem "Hof-Compositeur" des kursächsischen Fürsten in Dresden. Politik? Geniale politische Schachzüge eines Kantors! Doch tauchte da bald ein neues Problem auf. Um Huldigungswerke für diese Fürsten aufzuführen, fehlte Bach ein Orchester. Niemals hätte der Rat der Stadt Leipzig seine Musiker hierfür zur Verfügung gestellt. "Das neueste ist, dass der liebe Gott auch nunmehro vor den ehrlichen H. Schotten gesorget u. Ihme das Gothaische Cantorat bescheret hat; derowegen Er kommende Woche valediciren, da ich sein Collegium zu übernehmen willens.", verkündete Johann Sebastian Bach erfreuliche Neuigkeiten im Jahr 1729. Einer seiner Schüler beerbte den Organisten, der vom lieben Gott mit einer neuen Aufgabe versehen worden war, an der Neuen Kirche in Leipzig. Und Johann Sebastian Bach übernahm den anderen Part: die Leitung des Collegium Musicum.

Unablässig schreitender Bass

Der langsame, zweite Satz von Bachs vermutlich 1732 für das das Bachische Collegium Musicum in Leipzig komponierten Orchestersuite Nr. 3 D-Dur ist die berühmte "Air"; sie kommt nach der üppig besetzten Ouvertüre im französischen Stil. Auf die majestätische Einleitung war ein schneller, schulmäßiger Mittelteil gefolgt. Und nun erklingt eine französische Air – aus der Feder Johann Sebastian Bachs? Bach war beim Komponieren mit gewohnter Experimentierlust zu Werk gegangen, er erprobte Neues in abgesteckten Grenzen: Bearbeitung schlichter Liedmelodien und das Erfinden passender Kontrapunkte, dem Verflechten und Verdichten der Stimmen. Und so steigerte er die Wirkung der kantablen Melodie, indem er die Mittelstimmen nicht etwa dämpfte, sondern ihnen eigenständige Bedeutung verlieh über einem unablässig schreitenden Bass. Ein Air, kontrapunktisch durchdrungen – jenseits des Konventionellen. Und danach folgen stilisierte Tänze.

Deutsche Variante der französischen Ouvertüre

Reinhard Goebel erklärt zur Form der Bach'schen Suite: "Man darf man eben nicht vergessen, dass die Deutschen sehr früh Ouvertüren und Suiten geschrieben und diese von Lully herrührende Form der Opernouvertüre mit den Tänzen einer Oper kombiniert haben. Was in Frankreich erst im Verlauf des frühen 18. Jahrhunderts geschieht, dass man das als eine eigenständige Instrumentalform schreibt, also das ist eine eindeutige Eindeutschung."

Vorläufer einer neuen Form der Musikkultur?

Bei Bachs Suite in D-Dur, BWV 1068, handelt es sich um eine ebenso repräsentative wie unterhaltende Musik. Neben außerordentlichen Aufführungen, die das Orchester unter Bachs Leitung zur Ehren der sächsischen Kurfürsten etwa regelmäßig zwischen 1729 und 1741 bestritt, gab es außerdem wöchentliche Versammlungen "gewisser Musick-Verständigen". Sommers fanden sie in ungezwungener Atmosphäre im Garten statt von Zimmermanns Kaffehaus. Eintrittskarten? Gab es noch nicht, auch wenn sich diese Versammlungen schon "Musicalische Concerte" nannten. Bach war in Leipzig geblieben und musizierte nicht am französischen Hof seine Ouvertüren. So standen sie vielleicht ja als Vorläufer der "Gewandhauskonzerte" für eine neue Form der Musikkultur – eine "bürgerliche Tafelmusik".

Musik-Info

Johann Sebastian Bach - Suite (Ouvertüre) für Orchester Nr. 3 D-Dur, BWV 1068

Musica Antiqua Köln
Leitung: Reinhard Goebel

Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Das starke Stück" am 20. Oktober 2020, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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