Häufig ist die Violine als Soloinstrument nicht zu hören. Erste Kompositionen dieser Art sind die sechs Sonaten und Partiten für Violine solo BWV 1001-1006 von Johann Sebastian Bach. Indem der Spieler seine Finger auf verschiedene Saiten gleichzeitig legt und mit dem Bogen in einer runden Bewegung über alle Saiten führt, kann er auf seiner Geige mehrstimmig spielen. Er braucht kein Begleitinstrument, denn er begleitet sich selbst. Das fünfte Werk dieser Reihe ist die Sonate in C-Dur. Susanna Felix stellt das Starke Stück mit dem Geiger Christian Tetzlaff vor.
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Im Jahr 1720 kehrt Bach von einer zweimonatigen Konzertreise aus Karlsbad nach Köthen zurück. Doch zuhause erwartete ihn eine schreckliche Nachricht. Seine erst 35-jährige Frau Maria Barbara war überraschend und nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Bach sucht Trost in der Musik. So entstehen seine Sonaten und Partiten für Violine Solo, der Autograph ist auf das Jahr 1720 datiert. Der Geiger Christian Tetzlaff sieht in dieser Komposition eine Art Grabstein für Bachs Frau: "Da kommt zum Beispiel noch das schöne Indiz hinzu, dass Bach diese Stücke bezeichnet mit 'sei solo', was grob übersetzt heißt 'sechs Solo für Geige'", erklärt Tetzlaff. "Oder es heißt tatsächlich 'sei solo' – 'du bist allein'. Und das wäre dann tatsächlich ein passender Titel für dieses Werk."
Bach wechselt in seinem Zyklus Sonaten und Partiten ab. Die Sonate in C-Dur steht im Gesamtwerk an fünfter Stelle und ist für Christian Tetzlaff im dramaturgischen Aufbau eine Art Wendepunkt. Hier beginnt Bach seinen Schmerz langsam zu überwinden, der die ersten vier Werke, die bezeichnenderweise alle in Moll stehen, überschattet. "Die Reise in diesen Stücken geht von der majestätischen Eröffnung der g-Moll-Sonate über die h-Moll-Partita, a-Moll-Sonate zu den düsteren Abgründen der d-Moll-Partita, wo in der Chaconne auf eine den Zyklus vollkommen sprengenden und die normale Musik der Zeit wirklich sprengende Art Leiden dargestellt wird", sagt Christian Tetzlaff.
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In der Chaconne ist der Gipfel an Traurigkeit erreicht. Unmittelbar an die Chaconne schließt sich die Licht bringende C-Dur-Sonate an – auch wenn der Anfang des Adagios noch unsicher und zögerlich wirkt. "Der erste Satz der C-Dur-Sonate enthält C-Dur nicht ein einziges Mal auf einem betonten Taktteil", sagt Christian Tetzlaff dazu. "Er beginnt in derselben Tonlage der Chaconne, im selben Rhythmus, wobei Bach bisher immer darauf geachtet hat, dass alles immer so unterschiedlich wie möglich ist. Im fünften Takt des ersten Satzes der C-Dur-Sonate ist Bach bereits wieder in d-Moll gelandet. Es ist evident: Aus der Chaconne hat er sich überhaupt nicht entfernt."
Christian Tetzlaff | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi Es scheint Bach schwer zu fallen, sich von der Trauer zu lösen. Und auch am Schluss dieses Adagios holt ihn die Chaconne wieder ein. Doch dann kommt die Fuge "Und dort wird zum ersten Mal das C-Dur manifest", erklärt Christian Tetzlaff. Das Thema der Fuge erinnert an den Choral "Komm heil'ger Geist", die deutsche Übersetzung des Pfingsthymnus "Veni creator spiritus". Wie so oft bei Bach kann man sich fragen, ob das Absicht ist oder lediglich Spekulation. Tetzlaff meint dazu: "Das ist für mich musikalisch in jedem Fall 'Veni creator Spiritus'. Denn nach der Verzweiflung, die noch im ersten Satz der C-Dur-Sonate verweilt, ist jetzt plötzlich die ganze Musik voller Jubel. Für mich ist es immer wieder unfassbar, wie er es schafft, durch dieses tiefe und dunkle Tal zu gehen, und dann ein Gegengewicht zur Chaconne zu schaffen."
Ist es der Beistand des Heiligen Geistes, der Bach über seinen Schmerz hinweg helfen soll? Der Notentext verrät möglicherweise noch mehr über Bachs Gedankengänge: Ab der Mitte der Fuge dreht Bach das ursprüngliche Choral-Thema nämlich um. Die Melodie steigt jetzt nicht mehr schrittweise von oben nach unten, sondern von unten nach oben. "Man kann viel darüber spekulieren", sagt Tetzlaff dazu. "Wenn man diese Idee akzeptiert, dass dieses Thema, das tatsächlich schrittweise von oben nach unten steigt, so etwas ist, was von oben auf einen zukommt, dann kann man auch spekulieren, dass, was in dieser Fuge passiert, nämlich, dass er ab der Mitte die Sache genau umdreht, dies vielleicht der Versuch Bachs ist, ans Licht zu kommen nach den vorangegangenen Sonaten."
Allerdings scheint dieser Versuch nicht zu glücken. Immer wieder holt Bach die Trauer ein. "In dem 'al riverso', also in dem Umgekehrten, kommt sofort eine Leidensfigur, eine Seufzerbindung in Moll, jedes Mal als Antwort aufs Thema. Das ist einfach körperlich zu erfahren, und das ist auch schön, er schreibt in der ganzen Fuge sehr wenige Bindungen. Aber an dieser Leidensfigur schreibt er dann jeweils Zweierbindungen, um anzudeuten: Es sind tatsächlich Seufzer."
Christian Tetzlaff | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi Der dritte Satz, das Largo, gehört zu den Stücken, die eine so starke Wirkung besitzen, dass sie auch gelegentlich – losgelöst von ihrem Kontext – auf Hochzeiten oder bei ähnlichen Anlässen gespielt werden. Auch im dritten Satz hat Bach scheinbar mit der Trauer noch nicht abgeschlossen. Denn wie schon in der Fuge gibt es auch im Largo einen Moment des Zweifelns. Im vierten Satz werden solche Fragen dann gar nicht mehr gestellt. Virtuos, witzig und mit Akzenten auf normalerweise unbetonte Taktteile entfacht Bach im "Allegro assai" ein wahres Feuerwerk der Freude. Christian Tetzlaff hat seine eigene Deutung: "Der letzte Satz ist für mich der gelungene Versuch zu sagen: Okay, es passieren diese Dinge und wir müssen mit Kraft – oder bei ihm mit Glauben – versuchen, damit zurecht zu kommen. Und dann müssen wir auch in der Lage sein, zu genießen, zu tanzen, zu singen und Musik dieser Art zu machen. Es geht ausgelassen zu in diesem Satz. Und das ist natürlich im Zusammenhang der anderen Stücke phantastisch und wiederum rein musikalisch für den Zyklus unabdingbar."
Johann Sebastian Bach: Sonate für Violine solo Nr. 3, C-Dur BWV 1005
Christian Tetzlaff (Violine)
Label: Hänssler Classic
Sendung: "Das starke Stück" am 26. Januar 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK