Béla Bartók war der Volksmusik-Kultur seiner Heimat Ungarn tief verbunden. 1939 verließ er jedoch seine Heimat 1939 in Richtung USA - die Verbindung zwischen dem Nationalsozialismus und Ungarn war dem bekennenden Antifaschisten Bartók nicht geheuer. Eines seiner Werke, die in der amerikanischen Emigration entstanden, sind die "Kontraste" für Violine, Klarinette und Klavier. Inspiriert dazu hatte ihn der Jazzklarinettist Benny Goodman. Ulrich Möller-Arnsberg hat sich mit der Geigerin Carolin Widmann über die "Kontraste" unterhalten.
Bildquelle: Ferenc Bónis: Béla Bartók. Sein Leben in Bilddokumenten, Zürich 1981
Das starke Stück zum Anhören
"Es ist wichtig zu erwähnen, dass Benny Goodman, der ein Jazzklarinettist war, auch in der Klassik ganz ambitioniert war", sagt Carolin Widmann über den Auftraggeber der "Kontraste". "Das ist total niedlich, wenn man das heute hört: Er wollte wirklich gut klassische Musik spielen, hat geübt und geübt. Das war sein großes Ziel. Und Bartók hat es in den 'Kontrasten' geschafft, das übereinanderzulegen: die alte osteuropäische Musiktradition und die Neue Welt Amerika." Insofern könnte man sagen: Der Name "Kontraste" ist bei Bartók Programm. Im eröffnenden Tanzsatz "Verbunkos" - womit der Tanz gemeint ist, den Rekruten in Ungarn zu ihrer Vereidigung zelebrieren - klingt beides an: jazzige Rhythmen und alte Volksmelodien.
"Weshalb ich das so oft aufgenommen oder gespielt habe in meinem Leben, ist natürlich die schöne Gelegenheit, mit meinem Bruder zu spielen, der Klarinettist ist", erläutert Carolin Widmann ihre Vorliebe für das Stück. "Es gibt so wenige Stücke, die wir gemeinsam im Repertoire haben können. Die 'Kontraste' und Strawinskys 'Geschichte vom Soldaten' sind die einzigen Stücke, die wir mit einem Pianisten regelmäßig spielen können und die musikalisch so hochwertig und großartig sind."
Benny Goodman, der Auftraggeber von Bartóks "Kontrasten" | Bildquelle: Hans Bernhard
Bartóks "Kontraste" leben von Tempowechseln. Im ersten Satz heißt es erst "più tranquillo", dann "più mosso", schließlich wieder "meno mosso", bevor schließlich das ursprüngliche Tempo wieder erreicht werden soll. "Das ist eher so graduell, dass es in ein 'più mosso' reinfließt", erklärt Carolin Widmann. "Und wir denken, das ist plötzlich schneller. Aber am Ende des ersten Satzes, nach der Kadenz der Klarinette, steht 'a tempo' in den Noten. Und in der Aufnahme mit Bartók machen sie 'non tempo'. Das hört einfach irgendwie auf."
Während die Violine mit der melodieführenden Klarinette im Laufe des ersten Satzes in lebhaften - bisweilen dissonanten - Dialog tritt, freundet sie sich im zweiten Satz "Pihenö" wie ein guter Freund mit der Klarinette an. Carolin Widmann bringt es auf den Punkt: "Pihenö ist der Ruhepol, das innere Herzstück. Hier finde ich so wunderbar, dass die zwei Instrumente, die so wettstreiten, wirklich miteinander verschmelzen. Dass man nicht mehr weiß: Was ist Geigen und was Klarinette? Und wer hat die Hauptstimme? Das Klavier ist der einzige Gegenpart."
Im dritten Satz schließlich kehren sich die Rollen um. Es geht um "Sebes", einen schnellen Tanz, in dem die Violine mehr und mehr gegenüber der Klarinette die Hauptrolle übernimmt. Sehr, sehr feurig, unglaublich virtuos und rhythmisch fantastisch", begeistert sich Carolin Widmann. "Ein toller, effizienter Satz - effizient in dem Sinn, dass er genau das bewirkt, was Bartók will: nämlich, dass man gespannt zuhört und fassen kann, wie toll das mit zwei Instrumenten zusammengeht."
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Da ist ein Aufbruch, was Positives.
Carolin Widmann | Bildquelle: Carolin Widmann Für Carolin Widmann spiegeln die "Kontraste" einen - wenn auch nur kurzen - ungemein positiven Moment im Leben von Bartók wider: den Aufbruch aus dem vom Nationalsozialismus bedrohten Europa in die "heile Welt" Amerika. Und dies verbunden mit der Hoffnung des ungarischen Komponisten, im New Yorker Exil einen Neuanfang zu erleben. "Die 'Kontraste' sind noch vor der komplett verzweifelten Situation in New York geschrieben, wo Bartók am Ende war", sagt Widmann. "Also, als er die Solosonate für Geige komponiert hat. Das war ja sein letztes vollendetes Stück - da kann man die pure Verzweiflung spüren; er hatte keine Aufträge mehr und war bitter arm. Und er wusste genau, dass er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren wird. Während ich hier das Gefühl habe, da ist der verzweifelte Niedergang noch gar nicht zu erahnen, da ist ein Aufbruch, was Positives."
Bartóks "Kontraste" klingen modern klingt und scheinen aus der traditionellen Form herauszufallen , halten sich aber trotzdem an Form. Kommt zum Beispiel im ersten Satz der Klarinette eine solistische Kadenz mit der Geige als Begleiter zu, so wirkt es am Ende des dritten Satzes auf Carolin Widmann genau umgekehrt - "wo die Violine sagt: Ja, ich kann auch, und es gibt dann eine ganz tolle Geigenkadenz am Schluss."
Carolin Widmann (Violine)
Jörg Widmann (Klarinette)
Anna Gourari (Klavier)
Eigenaufnahme des BR
Sendung: "Das starke Stück" am 26. September 2017, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK