Bedrich Smetana hat nur drei Kammermusikwerke geschrieben. Zwei davon haben unmittelbare autobiographische Bezüge: Das Streichquartett "Aus meinem Leben" und das Klaviertrio op. 15. Während beim Streichquartett der Komponist rückblickend seinen Lebensweg schildert und wegen seiner beginnenden Taubheit ein bitteres Fazit zieht, knüpft das rund 20 Jahre zuvor entstandene Trio an eine große familiäre Katastrophe an, die Smetana im Jahr 1855 erlebt hatte. Julia Smilga hat mit der Pianistin Micaela Gelius über das Werk gesprochen.
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Das starke Stück zum Anhören
Am 6. September 1855 verlor der Komponist Bedrich Smetana seine Tochter Friederike. Sie starb im Alter von viereinhalb Jahren an Scharlach. Smetana hatte seine hochbegabte Tochter vergöttert - sie schien sein musikalisches Genie geerbt zu haben. In seinem Tagebuch hatte der stolze Vater notiert: "Mit drei Jahren singt sie bereits Lieder samt Worten und beim Anstimmen traf sie ganz natürlich den richtigen Ton...auf dem Piano spielt sie die C-Dur-Skala auch in Gegenbewegung mit beiden Händen. Sie hat schon alle Stücke behalten, die in der Musikschule gespielt wurden, sowie die Namen der Autoren..."
Mit Friederikes Tod brach für die Eltern eine Welt zusammen. Sie war bereits das zweite Kind, das die Smetanas verloren - im Jahr zuvor war ihre jüngere Schwester Gabriela gestorben. Um nicht von seiner Verzweiflung vollkommen überwältigt zu werden, nahm Smetana Zuflucht zu einer besonders intensiven Arbeit. Das Klaviertrio g-Moll, unmittelbar nach Friederikes Tod komponiert und ihrem Andenken gewidmet, ist Smetanas erstes Meisterwerk größerer Form.
Micaela Gelius | Bildquelle: micaelagelius.de
Aufgewühlt, mit einem expressiven Schluchzer, setzt die Violine ein. Das Hauptthema, von innerer Unruhe getrieben, prägt den expressiven, hochdramatischen Stil des ganzen Werks. Raue, schroffe Klänge beklagen die Ungerechtigkeit des Schicksals. Diese ungewöhnlichen Motive waren mit ein Grund, warum das Stück zu seiner Entstehungszeit von den Zuhörern wenig positiv aufgenommen wurde.
Die Pianistin Micaela Gelius erklärt: "Die Themen sind so ruppig, die Brüche so hart. Und wenn man vielleicht den Hintergrund nicht kennt, dann fragt man sich natürlich schon manchmal: Warum hat er es so gemacht? Zuerst kommt eine schöne Kantilene, und dann - zack! - was Schroffes und prallt aufeinander und die Themen stehen scheinbar nebeneinander, unverbunden, unentwickelt. Dann kommen wieder die tröstlichen Stellen, etwa das Cello, wenn es mit zweiten Thema einsteigt, und dann bricht es wieder ab, oder es kommt der Schmerz durch. Das ist wahnsinnig kraftvoll komponiert und ich höre da dieses Unverständnis und diese Wut 'raus, warum das passieren musste."
Das ist wahnsinnig kraftvoll komponiert.
Die Struktur des Trios ist ungewöhnlich: Alle Sätze sind mit schnellen Tempobezeichnungen versehen, alle beginnen sie mit dem gleichen Leitmotiv, erkennbar an seiner chromatisch absteigenden Quinte, die wie ein Seufzer klingt. Ein Fugato dieses Motivs im zweiten Satz leitet zu einem Polka-ähnlichen Thema über; für Smetana ist die Polka der tschechische Nationaltanz schlechthin. Doch das zunächst fröhliche Thema entwickelt sich zu einem herzzerreißenden Klagelied. Die plötzlichen Aufheiterungen sind nur flüchtig dazwischen gestreut. Der ganze zweite Satz bleibt instabil und offenbart das große Leid des Komponisten.
Im Schlusssatz kontrastiert die leidenschaftliche Kraft des Leitmotivs in den Streichern mit der tragenden Erzählung im Klavierpart. "Der dritte Satz stellt für den Pianisten eine große Herausforderung dar, wie ein Klavierkonzert", sagt Micaela Gelius. "Das ist einfach toll zu spielen und macht wahnsinnig Spaß - sehr schnelle Notenwerte, immer 2 gegen 3, Arpeggien 'rauf und 'runter- da ist etwas geboten für den Pianisten."
Gegen Ende des Stückes erklingt ein Trauermarsch, doch ist damit noch nicht das letzte Wort gesagt. Dem letzten Abschied vom verlorenen Kind folgt lebensbejahend das Hauptthema in der Dur Variante - ein heller Ausklang des Stückes.
Franz Liszt zählte zu Smetanas Förderern. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Uraufführung des Trios am 3. Dezember 1855 mit dem Komponisten am Klavier war ein völliges Fiasko. Die ungewöhnlichen Melodien und die freie Struktur des Trios ließen das Publikum kalt. Noch Jahre später erinnerte sich Smetana an die bittere Erfahrung: "Der Erfolg - ein Misserfolg. Die Kritik verhielt sich durchwegs ablehnend. Ein Jahr später spielten wir das Trio bei mir Liszt vor, der mich umarmte und meine Frau zu dem Werke beglückwünschte!" Liszt hatte für das Trio allerdings nicht nur Lob, sondern auch eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Smetana überarbeitete daraufhin das Stück völlig. In dieser neuen Gestalt erklang das Trio bei Smetanas nächstem Besuch bei Liszt in Weimar im Juni 1859. Zum alten Schmerz wurde bis dahin freilich eine neue, noch tiefere Wunde hinzugefügt: der Tod von Smetanas Frau Katerina im Alter von nur 32 Jahren - an den Folgen von Tuberkulose.
Smetanas Klaviertrio hatte keine besonders glückliche Aufführungsgeschichte. Auch heute noch ist das Werk ein seltener Gast auf den Konzertpodien - zu Unrecht, findet Micaela Gelius. Ihr Vorschlag: Man sollte die persönliche Geschichte, die hinter dem Werk steht, noch mehr publik machen. "Wenn wir es im Konzert gespielt haben, war es einfach hilfreich, den Leuten vorher etwas zu erzählen über das Trio. Und dann haben sie das oft mit ganz anderen Ohren gehört, als wenn man einfach nur spielt und keiner weiß so recht: Warum klingt das jetzt so schroff? Aber dann waren die Leute sehr berührt und konnten es nachvollziehen, hatten dann auch Verständnis dafür, dass nicht immer alles schön sein muss oder glatt."
Bedrich Smetana:
Klaviertrio g-Moll op. 15
Gelius Trio
Label: Thorofon