Kaum hatte Beethoven etwas fertig, war er auch schon unzufrieden: Es ging sicher noch besser, origineller, bewegender. Die so genannte "Mondscheinsonate" zum Beispiel. Nicht schlecht. Aber das Publikum hatte sie noch nicht ganz zur Kenntnis genommen, da schrieb er bereits an den drei Sonaten op. 31.
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Das starke Stück
Beethoven – Klaviersonate op. 31 Nr. 1
Gleich zu Beginn von Nr. 1 gibt Beethoven dem Publikum etwas zu knacken: Das erste Thema. Kein Monument, auch nichts zum Nachsingen, wie sonst meistens. Stattdessen klingt es am Anfang wie andere Stücke mittendrin. "Kleinigkeiten" nennt Ronald Brautigam diese kleinen und größeren Verstöße gegen die Schulbuchweisheit der Komposition. Sie machten Beethovens Sonaten so neu. "Die Sonate ist voll dieser Kleinigkeiten", sagt Brautigam. "Ich glaube, Beethoven hatte diese Idee, ein Stück zu schreiben, wo die linke und die rechte Hand immer nicht zusammen sind. Das ist die ganze Idee dahinter. Es ist eigentlich ein ganz komischer Satz. Ich stelle mir vor, dass Beethoven ganz viel Spaß hatte, als er dieses Allegro komponierte." Das zweite Thema erinnert in seiner schweifend unruhigen Tanzlust, seinem Hin- und Her zwischen Dur und Moll stark an die Art, wie 15 Jahre später auch Franz Schubert komponieren wird.
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Ronald Brautigam | Bildquelle: Marco Borggreve Die Durchführung bringt nur das erste Thema. Das tänzerische zweite erscheint erst wieder in der Reprise. Stattdessen nimmt in der Durchführung der zweite Teil des ersten Themas mit seinen schnellen, chaconne-haften Sechzehntelläufen breiten Raum ein. Ronald Brautigam erinnern diese Läufe mehr an eine Etüde: "Beethoven hat wahrscheinlich so viele Amateure gehört, die seine Musik gespielt haben und bei denen die linke und die rechte Hand nie zusammen waren, dass er ein bisschen eine Parodie darauf gemacht hat. Keine billige Parodie. Es ist wirklich Spitzenqualität!"
Im zweiten Satz geht es um Gesang. Begleitung und Melodie lassen Ronald Brautigam ans Belcanto denken, an "Casta Diva" aus der Oper "Norma", berühmt geworden durch Maria Callas.
Es ist ganz einfache Musik, aber es ist so schön.
Der Rondo-Schlusssatz klingt wie Schuberts Rondo-Finale aus der späten A-Dur-Sonate; die Begleitung erinnert Ronald Brautigam auch an den Leiermann aus Schuberts "Winterreise". Beethoven macht hier aus Einfachstem und Kleinstem Differenziertes und Großes; aus einem kleinen Rondo einen vierteiligen Sonatensatz mit Schlusskadenz und Coda. Beethovens hatte Spaß am Spiel mit überkommenen Formen, er verwandelt sie zugleich ständig, wodurch das Alte bei ihm immer wieder neue Wege findet. Oder, wie es Ronald Brautigam auf den Punkt bringt: "Es ist eigentlich eine ganz freie Improvisation."
Ludwig van Beethoven:
Sonate für Klavier G-Dur, op. 31 Nr. 1
Ronald Brautigam (Hammerflügel)
Label: BIS Records
Sendung: "Das starke Stück" am 29. März 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK