Die Zeitgenossen waren verstört von Beethovens Musik, sie schien den ersten Hörern laut, grell, bizarr. Und so entzündete sich an den Werken Beethovens fortan die Fantasie der Kritiker und Schriftsteller. Sie versuchten Beethovens Musik mit einfachen Formeln zu erklären.
Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn
Das starke Stück
Beethoven - Symphonie Nr. 4
"Ich bin nur wenig zufrieden mit meinen bisherigen Arbeiten, von heute an will ich einen neuen Weg einschlagen", verkündet 1802 ein ertaubender Komponist, nachdem ihn die Entdeckung seines Gehörleidens in eine furchtbare Krise gestürzt hatte und er sich aus der Gesellschaft zurückzog, aus Angst, sein Leiden könne entdeckt werden. Beethoven - der Unverstandene? Seitdem er seinen "neuen Weg" eingeschlagen hatte, schien auch aus seinen Symphonien das Heroische, das Pathetische, das Erhabene zu tönen. Die Eroica - Die Schicksalssymphonie - Die Neunte. Die Symphonie mit der Nummer vier? Heiter-vergnüglich, nur Musik. Kaum beachtet im Schatten der bedeutungsschweren Dritten und Fünften.
"Auf einmal trat der Kalkant, der Blasebalgtreter an der Orgel, in den Saal, und erschrocken fuhren die Instrumente auseinander, denn sie kannten seine gewaltige Hand, die sie zusammenpackte und den Proben entgegentrug. "Wartet", rief er, "rebelliert ihr schon wieder? Wartet! Gleich wird die Sinfonia Eroica von Beethoven aufgelegt werden, und wer dann noch ein Glied oder eine Klappe rühren kann, der melde sich."
"Ach, nur das nicht", baten alle. "Lieber eine italienische Oper, da kann man doch noch zuweilen dabei nicken", meinte die Bratsche.
"Larifari!", rief der Kalkant. "Man wird euch schon lehren! Nein, hört das Rezept der neuesten Sinfonie, das ich soeben von Wien erhalte, und urteilt darnach."
Dieser Traum entsprang der Fantasie von Carl Maria von Weber entsprungen, als dieser in einen tiefen Mittagsschlaf gefallen war, in dem sich ihm das Rezept einer neuen Musik offenbaren sollte. Keine Spur fand sich da von revolutionärem Pathos, kein vor Wut zerrissenes Titelblatt mit einer Widmung auf einen kleinen Korsen mit Namen Napoleon. Da kündete nicht der Weltgeist, es tobte nicht einmal ein Gewittersturm, es erklang bloß die Symphonie mit der Nummer vier in freundlichem B-Dur, Opus 60.
"Heiter, verständlich und sehr einnehmend", schrieb ein Kritiker über die besondere, vermeintlich weniger bedeutende unter den neun Symphonien. "Den tiefen, starken Geist dieses Werkes seiner früheren schönsten Zeit zu schildern, hat die Sprache keine Worte.", schrieb ein anderer später. "Griechisch-schlank" nannte Robert Schumann einmal diese Symphonie, über die kaum mehr bekannt ist, als dass sie 1806 im schaffensreichstem Jahr des Komponisten entstanden ist.
"Kein Geheimnis sei dein Nichthören mehr - auch bei der Kunst". Mehr als diese seltsame Bemerkung ist von Beethovens Hand zum Entstehungsprozess nicht überliefert. Ein klein besetztes Werk, zumeist transparent, fast kammermusikalisch instrumentiert das fein ausbalancierte Farbenspiel der Holzbläser.
Die Vierte ist eine Symphonie, die vergnüglich, doch nur vermeintlich klassisch klingt. Klassisch im Sinn von ausgewogen. Und doch hört man eine Musik, in der das Visionäre, das Revolutionäre in feinen Abweichungen von Erwartungen liegt. Das Brüchige zeigt sich im Verborgenen und erscheint frappierend modern.
"Composée et Dediée à Monsieur le Comte d'Oppersdorff par Louis de Beethoven" erklang sie erstmals in in einem Privatkonzert im Palais des Fürsten Lobkowitz 1807. Öffentlich zum besten gegeben wurde sie erst einige Jahre später.
Ludwig van Beethoven - Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 60
The London Classical Players
Leitung: Roger Norrington
Label: Angel