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Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 6 "Pastorale"

"Sehen Sie sich die Szene am Bach an. Es ist ein Bach, aus dem allem Anschein nach Kühe trinken", ätzte Claude Debussy als Kritiker über die Symphonie eines Klassikers; er bezog sich auf zwei Fagotte, die ihn an Weidevieh erinnerten. Er sprach denkbar respektlos über die 6. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Dabei hatte sich der Komponist selber bereits über Löwengebrüll und andere Lautmalereien in der Musik seines Lehrers Joseph Haydn lustig gemacht. Naturlaute mussten einem höheren Zweck dienen. Wiebke Matyschok hat mit dem Dirigenten Roger Norrington über Beethovens "Pastorale" gesprochen.

Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn

Das starke Stück

Beethoven - Symphonie Nr. 6 "Pastorale"

"Mehr Ausdruck der Empfindfung(en) als Malerei", hatte Beethoven über dem ersten Satz in der Partitur seiner neuesten Symphonie vermerkt. Als ob er den Urteilen seiner Kritiker vorgreifen wollte. Doch die Symphonie stieß auf offene Ohren im Dezember des Jahres 1808. Anders als seine vorangegangenen. Welch ein Lärm! So hatten sich die Zeitgenossen da erregt, verstört vom "heroischen Ton" einer Musik, die den beängstigenden "Élan terrible" eines Zeitalters der Revolution zu atmen schien. Zu lang! "Diese eine Pastoralsymphonie dauerte daher schon länger, als ein ganzes Hofkonzert bei uns dauern darf." Auch das bemerkte einer der Durchreisenden, der im Dezember des Jahres 1808 im Theater auf Einladung eines Grafen sich in dessen Loge begeben hatte. Die Symphonie gefiel ihm. "Doch wurde es dem nichteingeweihten Zuhörer schwer, in all diese, ihm verschlossene Geheimnisse einzugehen", bemerkte er.

Das ist für damals im Grunde sehr revolutionär.

Klänge der Natur

"Man überlässt es dem Zuhörer, die Situationen auszufinden. Wer auch nur je eine Idee vom Landleben erhalten, kann sich ohne viele Überschriften selbst denken, was der Autor will." Dies hatte Beethoven über seine "Pastorale" geschrieben. Schon zeitig hatten Musikgelehrte gefordert, "dass der Musiker immer lieber Empfindungen, als Gegenstände von Empfindungen malen soll", weil die musikalische Nachahmung am besten gelinge, wenn der Komponist "weder einen Teil, noch eine Eigenschaft des Gegenstands selbst male, den er sich vorgesetzt hat, sondern den Eindruck nachahmt, den dieser Gegensatz auf die Seele zu machen pflegt." Die Fantasie des Komponisten hatte sich natürlich an den Klängen der Natur entzündet: "Murmeln der Bäche, andante molto, je grösser der Bach je tiefer der Ton". Ferner dachte Beethoven in "Szenen". "Szene am Bach", "Lustiges Beisammensein der Landleute", "Gewitter und Sturm", "Hirtengesang". Doch die Symphonie beginnt mit dem "Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande". Dirigent Roger Norrington beschreibt den Anfang: "Es beginnt mit einer Geste. Beethoven kommt ins Land. In seiner Kutsche. Die Tür ist offen. Es gibt keinen Streit, kein Kontrast. Alles ist einfach. Das ist für damals im Grunde sehr revolutionär."

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Naturschilderungen in der Musik waren nicht neu

Monsieur Croche – das schriftstellernde Alter Ego des Claude Debussy – bemerkte einmal ätzend über Beethovens Sechste: "Sehen sich die Szene am Bach an: Es ist ein Bach, aus dem allen Anschein nach Kühe trinken (jedenfalls veranlassen mich die Fagottstimmen, das zu glauben). All das ist sinnlose Nachahmerei oder rein willkürliche Auslegung." War die "Pastorale" etwa ein einziges Vogelgezwitscher und Donnerwetter? Doch von den späteren Streitigkeiten um eine Programmmusik konnte Beethoven ja noch nichts ahnen. Vermutlich wollte er sich genau abgrenzen gegen das Schreiben bloßer Tonmalereien. Vogelstimmen waren bereits in die Musik des 14. Jahrhunderts eingezogen. Es folgten Fröschequaken und Löwengebrüll, Unwetter und Jagdgeschehen, Wasserrauschen, Erdbeben, stürzende Mauern. Schlachtenmusiken. Beethoven kannte auch die fünfsätzige Symphonie "Das musikalische Porträt der Natur" des Biberacher Komponisten Justin Heinrich Knecht und dessen Klavierstück "Die durch ein Donnerwetter durchbrochene Hirtenwonne".

"Nur im Lande bleiben …"

Dirigent Sir Roger Norrington | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa "Wie glücklich sind Sie, dass Sie schon so früh aufs Land konnten! Erst am achten kann ich diese Glückseligkeit geniessen. Kindlich freue ich mich darauf; wie froh bin ich, einmal ihn Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können, kein Mensch kann das Land so lieben wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den er Mensch wünscht! Haben Sie Goethes Wilhelm Meister gelesen, den von Schlegel übersetzten Shakespeare? Auf dem Lande hat man so viele Muße, es wird Ihnen vielleicht angenehm sein, wenn ich Ihnen diese Werke schicke" Dies schrieb Beethoven an Therese Malfatti, die Tochter einer seiner Ärzte. Sein Gehör hatte er fast verloren, als er diesen Brief schrieb. Zuerst hatte er an Ohrensausen und Tinnitus gelitten, die hohen Töne schwanden, er hörte verzerrt. "Mein Dekret: nur im Lande bleiben. Wie leicht ist in jedem Flecken dieses erfüllt! Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht."

Ein höheres Wesen manifestiert sich in der "Pastorale"

Auf dem Land, so meinte Beethoven, würde sich sein Zustand bessern. Außerdem las er viel. Vielleicht schien auf diese Weise ein höheres Wesen aus all der Natur – den Vogelstimmen, dem Donnergrollen, den Blitzen, dem Regen, den Hirtengesängen – in der "Pastoralen" zu tönen. Beethoven, der rheinische Katholik, hatte jedenfalls auch die Schrift "Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur und Vorsehung auf alle Tage des Jahres" des evangelischen Protestanten Christoph Christian Sturm gelesen. Dort heißt es: "Man kann die Natur mit Recht eine Schule für das Herz nennen, weil sie uns auf sehr einleuchtende Art die Pflichten lehrt, welche wir sowohl in Absicht auf Gott, als auf uns selbst und unsere Nebenmenschen auszuüben schuldig sind."

Musik-Info

Ludwig van Beethoven:
Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 "Pastorale"


Radio-Sinfonieorchester Stuttgart
Leitung: Roger Norrington

Label: Hänssler Classic

Sendung: "Das starke Stück" am 20. Dezember 2022, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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