Sechs Klaviertrios hat Antonín Dvořák geschrieben, doch nur vier sind erhalten geblieben. Diese bilden nach den Streichquartetten die zweitgrößte und auch gewichtigste Gruppe innerhalb seiner Kammermusik. Und das Trio f-Moll op.65 aus dem Jahr 1883 ist dabei das ehrgeizigste und strukturell bedeutendste. Seine Dramatik, sein dichter, an Brahms orientierter Klaviersatz und nicht zuletzt seine Länge von ungefähr 40 Minuten geben dem Stück symphonisches Gewicht. Julia Smilga hat mit dem Pianisten Micael Gelius vom Gelius-Trio über das Werk gesprochen.
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Das starke Stück zum Anhören
Ein Trio, das schon fast eine Symphonie ist: so dicht, düster und virtuos hatte Dvořák vorher noch nie komponiert. Er hat an diesem Trio über zwei Monate gearbeitet. Im März 1883 entstand die erste Fassung. Dvořák war damit nicht zufrieden – es fehlte ihm Spannung und Dramaturgie. Das Trio wurde gekürzt, umgeschrieben, verdichtet, der zweite und dritte Satz wechselten die Plätze. Das Ergebnis des zähen Ringens war ein außergewöhnliches kammermusikalisches Meisterwerk.
"Ich war schon immer fasziniert von diesem Trio", schwärmt der Pianist Micael Gelius. "Es hat ja fast symphonische Länge, es dauert fast 45 Minuten und es steckt einfach so wahnsinnig viel drin an Energie, an Kraft, an Melancholie. Es ist wahnsinnig komplex, alle Stimmen sind gleichberechtigt, jede Stimme wird gebraucht und eingesetzt und hat ihre Funktion. Der Spannungsreichtum ist wahnsinnig groß. Es geht von tiefster Niedergeschlagenheit oder Zartheit bis zu großen Ausbrüchen. Da ist jeder gefordert, bis zum Äußersten!"
Ich war schon immer fasziniert von diesem Trio
Das Gelius Trio | Bildquelle: www.geliustrio.de/ Das Trio f-Moll entstand in einer düsteren Zeit für Dvořák. Sowohl privat als auch künstlerisch hatte er gerade schwere Monate hinter sich: monatelange Depression nach dem Tod seiner geliebten Mutter im Dezember 1882, Kritik an seiner Oper "Dimitri". Außerdem wollte sich Dvořák aus der Zwangsrolle eines böhmischen Volksmusikers befreien. In dem Trio f-Moll suchte der Komponist nach neuen Wegen. Mit dem Werk begann eine deutliche Veränderung in Dvořáks Stil: Er ging weg vom tschechischen Liedgut, von der "slawischen Periode" hin zu einer sehr persönlichen, leidenschaftlichen Musiksprache. "Irgendwie ab diesem Punkt hat einfach eine große Blütezeit bei ihm angefangen, und das hat dann auch kulminiert in seinen letzten Symphonien", bestätigt Micael Gelius. "Und dazu zählt dieses Klaviertrio, das wirklich als eines der großen Kammermusikwerke gilt, die er geschaffen hat."
Im ersten Satz, einem Allegro von fast symphonischem Ausmaß, sind Dvořáks großes Vorbild Brahms und sein epischer Stil besonders gut zu erkennen. Johannes Brahms förderte seinen tschechischen Kollegen. Er verhalf ihm zu einem Stipendium, machte ihn mit dem Verleger Fitz Simrock bekannt, der seine "Slawischen Tänze" veröffentlichte und damit Dvořák bekannt machte. Zwischen Brahms und Dvořák existierte nicht nur enge Freundschaft, sondern auch gewisse stilistische Nähe, die sich besonders in dem Trio bemerkbar macht. Auch Micael Gelius fühlt sich im ersten Satz "immer an Brahms erinnert".
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Johannes Brahms. Fotografie von ca. 1866. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Nach dem monumentalen ersten Satz mit seiner breiten Gefühlspalette von tiefer Melancholie bis hin zu Leidenschaftsausbrüchen, bringt auch der zweite Satz keine Konfliktlösung mit sich. Das nervös pulsierende Scherzo im Stil eines slawischen Tanzes ist die einzige Anspielung auf Dvořáks musikalische Heimat in diesem Werk. Der letzte Gruß sozusagen. Erst im dritten Satz gelangt das Trio zu Ruhe. Der dritte Satz bildet die Herzmitte des ganzen Werkes. Hier lösen sich Schwermut und Melancholie in tiefster Empfindung und Elegie auf. Der dritte Satz ist für mich der Ruhepol", sagt Micael Gelius. "Die Zeit steht still an dieser Stelle, und im Trio sind wir immer alle fasziniert von diesem Satz, er geht einem auch sehr nahe. Es klingt vielleicht etwas abgehoben, aber wenn es einem gelingt, dann ist es eine Sternstunde. Wenn nichts mehr raschelt und niemand mehr hustet, sondern einfach: Stille! Das ist ein ganz schöner Moment."
Doch die träumerische Ruhe ist nur vorübergehend. Das Finale ist spannungsgeladen: Aufgewühltheit, innere Wehmut, aggressive Ausbrüche – wieder zeigt sich Dvořák von einer ungewöhnlichen, fast schroffen Seite. Und doch gibt es ein Happy End: Das furiose Finale endet mit einem lebensbejahenden optimistischen Dur – ein strahlender Schlusspunkt nach 45 Minuten des Kampfes, Leidens und Träumens. Das Trio f-moll ist eines der intensivsten und tiefgründigsten Kammermusikwerke von Dvorak. Keine leichte Kost für Konzertbesucher. Nicht leicht – aber lohnend.
Antonín Dvořák:
Trio für Violine, Violoncello und Klavier Nr. 3 f-Moll, op. 65, B 130
Gelius Trio
Label: THOROFON
Sendung: "Das starke Stück" am 27. Oktober 2020, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK