Edward Elgar hatte es geschafft. Seine Kompositionen wurden europaweit aufgeführt, er war Professor in Birmingham, 1904 wurde er sogar zum Ritter geschlagen. Trotzdem blieb er im Grunde seines Herzens eine traurige Seele. Die Jahre um 1917 waren eine Zeit, in der ihn zusätzlich zum Kriegsgeschehen auch noch private Sorgen quälten, vor allem die Krankheit seiner Frau Alice. Komponiert hat er trotzdem, unter anderem sein letztes großes Orchesterwerk, das Cellokonzert. Ein Werk voller Tragik und Abschiedsstimmung. Uta Sailer spricht mit Daniel Müller-Schott über dieses Starke Stück.
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Es liegt ein Schatten über Edward Elgars Leben, 1917 in London: Seine geliebte Frau ist schwer krank, Freunde sterben, es ist Krieg. Er selbst kommt gerade aus dem Krankenhaus. Da schießen ihm diese Töne in den Kopf. Töne, die ihn nie wieder loslassen werden. Diese Töne sind der Beginn einer großen Erzählung. Als Elgar das Thema einfällt, weiß er noch nicht, was er daraus machen soll: eine Symphonie? Ein Solowerk? Ein Konzert?
Er lässt es liegen, widmet sich zunächst anderen kammermusikalischen Werken wie z.B. der Violinsonate oder dem Klavierquartett, um sich dann – zurückgezogen in sein Ferienhaus in Sussex – der Orchestrierung des Werkes zu widmen. Immer noch ohne konkrete Vorstellung. Dann drängte es sich auf: das Cello – die Hauptperson und klingender Doppelgänger von Elgar selbst. Es erzählt die Geschichte von Edward Elgar, eine melancholische Geschichte, findet der Cellist Daniel Müller-Schott: "Es ist eine große Melancholie, ein Bewusstsein für Vergangenheit, das gelebte Leben zu spüren. Diese Tragik und dieser Tiefsinn machen dieses Konzert für mich zu ganz was Besonderem, und es wird von jedem unmittelbar verstanden."
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Das Cello klagt, weint und sucht. Das Orchester hört zu, tritt in Kontakt und zieht sich wieder zurück. Ein befreites Wettstreiten, ein impulsives Miteinander von Orchester und Solist gibt es kaum. "Bei diesem Konzert unterstützt das Orchester den Solisten", sagt Daniel Müller-Schott. "Es ist eine echte Zusammenarbeit. Man findet sich in musikalischen Themen, es nichts an Reibung entgegengesetzt. Im Grunde verfolgt das Orchester dieselbe Idee wie der Solist."
Bei diesem Konzert unterstützt das Orchester den Solisten.
Daniel Müller-Schott | Bildquelle: © Uwe Ahrens Auch wenn sich die Musik aufzuhellen scheint, sie kommt nie ganz ins Licht. Der dunkle Schatten des Abschieds bestimmt das ganze Konzert. Zwar schwingt sich das Cello im zweiten Satz zu virtuosen Passagen auf, sie kommen aber merkwürdig hohl und leer daher. Mehr Zittern als Lachen, mehr Gehetztsein denn Lebensfreude. Und wie ein trauriges Kind nach einem kurzen Spiel wieder in die eigene Melancholie versinkt, so fällt das Cello im dritten Satz zurück in das Wehklagen und Sehnen. Von sanften, zarten Streicherklängen und wenigen Holzbläserklängen begleitet, singt das Cello ein wehmütiges Lied. Elgar verzichtet auf große Orchesterklänge, zieht sich in kammermusikalische Beschaulichkeit zurück. Ein Spiegel seines eigenen Seelenlebens zu jener Zeit. Während der Arbeit am Cellokonzert hatte sich Elgar nach Worcestershire zurückgezogen – in die Landschaft seiner Kindheit.
Wo Schatten ist, ist kein Licht. Und so verbleibt auch der letzte Satz in gedämpfter Grundstimmung. Auch wenn die Musik immer wieder Anlauf nimmt, die Dunkelheit zu durchbrechen. Daniel Müller-Schott erklärt: "Elgar versucht, das Werk zu steigern. Er versucht, einen Ausweg zu finden aus dieser etwas bedrückten, introvertierten Stimmung. Es gelingt ihm aber trotzdem nicht ganz, diese Resignation kommt doch wieder zurück."
Edward Elgar | Bildquelle: picture alliance / akg Resignation nicht nur im Privaten, sondern auch in politischer Hinsicht. Als Elgar dieses Werk schreibt, ist der Erste Weltkrieg in vollem Gange. Die blutigen Schlachten des Jahres 1916 hatten ihn in eine tiefe Schaffenskrise gestürzt. Entsetzt über die Grausamkeiten des Krieges versiegt vorübergehend seine Schaffenskraft. Um im Cellokonzert mit voller Kraft neu zu erstehen. "Ich habe den Eindruck, dass Elgar sehr genau beobachtet hat, was in der Gesellschaft passiert ist", sagt Daniel Müller-Schott dazu. "Man weiß, dass er kritische Anmerkungen gemacht hat zu politischen Entwicklungen, dass er einfach niedergeschlagen war, was da passiert ist In dem Werk hat man sehr oft Eindruck, dass dieses Abschiednehmen ihm sehr schwer fällt."
Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder ein neues Stück zu vollenden. Es gibt keinen Anreiz, etwas zu Ende zu bringen.
Mit dem Cellokonzert nimmt Elgar Abschied. Abschied vom Komponieren. Es ist sein letztes großes Werk. Ein halbes Jahr nachdem er es fertig gestellt hatte, stirbt seine geliebte Frau Alice. Ein Verlust, der Elgar so tief im Herzen trifft, dass er sich außerstande sieht, weiterhin Musik zu schreiben. Das Cellokonzert bringt er aber zu Ende – zu einem resignierten Ende ohne Hoffnung: Als am Schluss des Konzerts die Anfangsakkorde wiederkehren klingt es so, als wolle das Cello sagen: es gibt keine Hoffnung. Alles wird bleiben, wie es ist.
Edward Elgar:
Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll, op. 85
Daniel Müller-Schott (Violoncello)
Oslo Philharmonic Orchestra
Leitung: André Previn
Label: Orfeo
Sendung: "Das starke Stück" am 24. Mai 2022, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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