Er war ein großer Geiger und ein großer Komponist. Vor allem für sein eigenes Instrument. Die sechs Sonaten für Violine solo von Eugène Ysaÿe sind ein Meilenstein der Geigenliteratur. Ein Geheimtipp ist dagegen die 1915 entstandene Sonate für zwei Violinen.
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Das starke Stück
Ysaÿe - Sonate für zwei Violinen solo
In Fachkreisen weiß man, dass es sie gibt, aber kaum jemand kennt sie. 1964 haben der russische Geiger Leonid Kogan und seine Frau Jelisaveta Gilels das Manuskript entdeckt und auf Platte eingespielt. In der Folgezeit konnte sich die Sonate für zwei Violinen solo kaum durchsetzen. Erst vor sechs Jahren wurde das Werk erstmals herausgegeben.
Der Geiger Ingolf Turban suchte für seine Doppel-CD, die ausschließlich Werken von Eugen Ysaÿe gewidmet sein sollte, nach ausgefallenen Stücken von ihm. Der große belgische Geiger war Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der berühmtesten Virtuosen seiner Zeit. Die Sonate für zwei Violinen solo, die bis dahin nur in Manuskriptform existierte, hat den Münchener Violinprofessor schon immer interessiert, kannte er doch die Aufnahme von Leonid Kogan und Elisabeth Gilels. Und als er an die Noten kam und das Werk zum ersten Mal durchspielte, war Ingolf Turban von der geballten Intensität der 37-minütigen Sonate gefangen.
Die Sonate für zwei Violinen solo hat eine ganz besondere Widmungsträgerin: Königin Elisabeth von Belgien. Ihre königliche Majestät war Schülerin von Eugène Ysaÿe. Mit ihm hat Elisabeth oft zusammen musiziert und auch den berühmten Musikwettbewerb, den "Concours Reine Elisabeth" in Brüssel, ins Leben gerufen. Heute ist es einer der bedeutendsten Musikwettbewerbe weltweit.
Doch Eugène Ysaÿe und Königin Elisabeth verband sicher mehr als nur Freundschaft, und die Musik der Duosonate beweise dies eindeutig, sagt Ingolf Turban:
"Es ist ein Freundschaftsbeweis - ja wohl auch ein bisschen Liebesbeweis. Es ist höchstromantische Musik an ihrem harmonischen Ende, ausgereizte harmonische Tricksereien, möchte ich fast behaupten - so wirklich im Abendrot, im Abendleuchten der untergehenden romantischen Sonne. Ein bisschen tragisch auch. Das hat womöglich mit einer Liebe zu tun, mit dieser großen Frau zu tun. Wie lange hält die Liebe? Wann geht sie unter?" (Ingolf Turban)
Ob die beiden die Sonate je zusammen gespielt haben? Darüber ist nichts bekannt. Falls ja, dann muss die Königin Elisabeth über hohe geigerische Virtuosität verfügt haben. Das dreisätzige Werk verlangt in den beiden absolut gleichwertigen Soloparts den Interpreten einiges ab. Die abwechslungsreiche Partitur ist gespickt mit Doppelgriff- und Akkordpassagen, Staccato-Läufen und Ricochet-Arpeggien. Unfassbar, dass diese harmonisch prachtvolle und zwischen Bach-Adaption, schwärmerischer Klangekstase und brillantem romantischen Virtuosentum angesiedelte Musik noch heute so unbekannt ist. Vielleicht weil sie zum Zeitpunkt der posthumen Erstveröffentlichung als spätromantischer Anachronismus so gar nicht in die neue musikalische Landschaft passte?
Eugène Ysaÿe: Sonate für zwei Violinen solo, op. posth.
Ingolf Turban, Violine
Kolja Lessing, Violine
CD-Titel: "Hommage à Eugène Ysaÿe"
Label: Telos Records