Ein halbes Dutzend Pariser Symphonien hat Joseph Haydn komponiert - für eine Konzertreihe in der "Loge Olympique", eine Loge im Paris der 1780er-Jahre. Zu diesen gehört auch "La Reine", Haydns Symphonie Nr. 85.
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Das starke Stück
Haydn - Symphonie Nr. 85 "La Reine"
Ich spüre eine Person, die gelebt hat, die gewagt hat, die uns einlädt!
Diese "Person" Joseph Haydn lädt uns zu einer Symphonie mit vier Sätzen ein, die erstaunlicherweise in den ersten Takten nicht mit Pauken und Trompeten um die Gunst des Publikums buhlt, die nicht mit dem Zaunpfahl winkt: "hört her, hört her!" Sondern diese Symphonie "La Reine", die Königin, beginnt mit einem zurückhaltenden, einem noblen Adagio-Satz. "La Reine ist so majestätitisch, hat ein wirklich königliches Element! Ich habe dem Orchester gesagt, ihr braucht etwas Puder in der Perücke", sagt Dirigent Jonathan Nott zu dieser Musik.
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Jonathan Nott, Dirigent | Bildquelle: © Thomas Müller
Tänzerisch mutet dieser erste Satz an, aber nicht wild und ausgelassen, sondern steif. Er erzählt von vornehmen Zeiten, von ausladenden Roben, Seidenstrümpfen und komplizierten Frisuren. Man begibt sich auf eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert, als am Hof getanzt wurde, als hätte man einen Stock verschluckt. Joseph Haydn kann es sich leisten, die Tradition eines schnellen Anfangssatzes zu brechen. Denn das Orchester, das ihm in Paris zur Verfügung steht, ist ausgezeichnet. Mit 40 Violinen, zehn Kontrabässen und zwei- bis dreifach besetzen Holzbläsern lässt sich ein ganz anderer Klang, ein einnehmender und intensiver Klang erzeugen. Die üblichen Adelskapellen, wie sie Haydn zum Beispiel bei den Esterhazys zur Verfügung steht, können diesem Pariser Spitzenensemble nicht das Wasser reichen. Entsprechend groß ist die Freude, auch bei den Musikern!
"Man hat nur Positives daraus, als Zuhörer und Spieler. Auch unglaublich kühn, die Modernität, mit denen er die Spielregeln bricht, fünf Takte hier, drei Takte da. Völlig unerwartet kommt er in eine andere Tonart, dann ein ganz anderes Thema", freut sich Jonathan Nott.
In allen vier Sätzen setzt Haydn auf Überraschungseffekte, ohne plumpe Effekte aneinander zu reihen. Vielmehr entwickelt er auf subtile Weise verschiedene Ableitungen eines Themas: So treibt er im zweiten Satz, einer Romanze, den höfischen Gestus fast ins Absurde. Neben der würdevollen Höflichkeit sind eben dieser Hang zum Absurden, das Spielen mit Grenzen und Traditionen Haydns weitere wichtigen Stilmittel in der Symphonie "La Reine". Während man in den ersten beiden Sätzen dies nur zwischen den Zeilen heraus hört, wird Haydn im Trio deutlicher!
Das Trio, ja, das ist dann auch, sehr fein, sehr nobel, alles ein bisschen übertrieben.
25 Louisdor erhält Joseph Haydn für jede der sechs Pariser Symphonien. Zum ersten Mal verdient er mit symphonischen Werken richtig viel Geld. Nebenbei handelt er eine Zweitverwertung mit einem Wiener Verlag heraus und kassiert noch einmal. Und doch schreibt er seinen Auftraggebern nicht nach der Schnauze. Gefälligkeiten sind ihm zuwider. In der Form strebt er Komplexität an: Die Pariser Symphonien sind darum auch die ersten, die sich nicht mehr fürs private Musizieren eignen. Haydn stellt hohe technische Anforderungen, verlangt Flexibilität und: Humor!
"Als ich diese Symphonie zuerst durchgespielt habe, habe ich gedacht: Nein, das gibt’s doch nicht, die Tonart, ich musste die ganze Zeit lachen, nein, lächeln, nicht lachen, manchmal richtig auslachen", schildert Jonathan Nott seine Erfahrungen. "Ja, ich glaube, er geht schon über die Grenze der Huldigung hinaus. Das ist der Schatz an ihm, er ist so vielfältig und so menschlich."
Joseph Haydn: Symphonie B-Dur, Hob I:85, "La Reine"
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Jonathan Nott
Live-Aufnahme aus der Philharmonie im Münchner Gasteig vom 22. Februar 2014