Als Erich Wolfgang Korngold mit nur 60 Jahren starb, durfte er sich als ein aus der Mode gekommener Komponist vorgekommen sein. Sein Violinkonzert in D-Dur, op. 35 hat jedoch nicht nur dem Vergessen am hartnäckigsten Widerstand geleistet, sondern ist ins Standard-Repertoire zurückgekehrt. Andreas Grabner hat mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter über dieses Starke Stück gesprochen.
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Das starke Stück zum Anhören
Wer über Erich Wolfgang Korngold reden will, kann tun, was er will, drei Worte werden ihm über die Lippen kommen müssen: "Wunderkind", "Oper" - verbunden mit dem Werk "Die tote Stadt", das zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Musiktheater-Stücken der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen gehört. Das dritte könnte der Name eines Ortes in den Hügeln über Los Angeles sein, der Name: Hollywood.
Bei allem Glanz, den diese drei Worte zu verbreiten scheinen, stehen sie auch für ein Künstlerleben, das von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zerrissen wurde, und das am Ende nie wieder so recht in den Tritt kam, in dem es einst triumphal losmarschiert war. Mittlerweile widerfährt dem österreichisch-jüdisch-amerikanischen Komponisten-Genie Korngold endlich die Ehre, die ihm gebührt, und seine Werke werden wieder mehr gespielt. Sieben Jahre hat Erich Wolfgang Korngold in Amerika im Exil verbracht. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, da hat er die Filmmusiken zu 18 großen Hollywood-Filmen komponiert. Für zwei von ihnen, "Anthony Adverse" und "Die Abenteuer von Robin Hood" bekam er sogar den Oscar.
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Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: Reuters (RNSP) Doch bei allem Erfolg in der Neuen Welt sehnt sich Korngold zurück nach Europa und der abendländischen Musiktradition. Auf diese Sehnsucht folgt die bewusste Hinwendung zu den traditionellen Gattungen. Sein Violinkonzert D-Dur op. 35 von 1945 ist das erste große Werk dieser Neuausrichtung; mit ihm hofft Korngold in Europa Gehör zu finden und an die alten Erfolge anknüpfen zu können. Doch gehen über zehn Jahre als Filmmusik-Komponist nicht spurlos an einem vorüber. Korngold hüllt sein Konzert in einen schwelgerischen Sound, der einem großen Hollywood-Schinken in Breitwandformat und glühendsten Technikolor-Farben alle Ehre gemacht hätte. "Was ich spektakulär finde an dem Korngold-Konzert, ist das Konzept", sagt Anne-Sophie Mutter über das Werk. "Korngold hat einfach ganz lässig in seine Schublade gegriffen, existierende Filmtthemen miteinander verwoben und daraus ein opulentes, irrsinnig schönes Violinkonzert gestrickt, das zum einen irrsinnig schwierig ist, zum anderen aber, ich muss es gestehen, leichter als Mozart. Es ist nämlich eine Virtuosität, die man beherrschen kann."
Viele der grandios ausschwingenden Themen borgt sich der Komponist zu großen Teilen aus seinen Filmmusik-Partituren. Das sehnsüchtige zweite Thema des Kopfsatzes etwa aus dem Film "Juarez", und im Finale schickt Korngold die quirlige Titelmelodie des Films "The Prince and the Pauper" von 1937 ins Rennen. Erzählt wird dort eine turbulente Verwechslungskomödie nach Mark Twain, in der ein Bettelknabe beinahe zum englischen König gekrönt wird. Noch in dem Konzert scheinen sich Geige und Orchester kaum einzukriegen vor lauter Gelächter über die Verwicklungen und die Absurdität des Weltgeschehens und des menschlichen Lebens. Bei aller Süffigkeit, bei aller weit ausschwingenden Kantilene ist dieses Konzert gespickt mit den aberwitzigsten technischen Schwierigkeiten: Doppelgriffe, Spiccati, Springbogen, Collegno-Spiel, Flageoletts in stratosphärischen Höhen – alles allerdings kein Problem für den Geiger, für den das Werk gedacht war: für Jascha Heifetz. Doch anscheinend war sowohl in Europa als auch in Amerika 1945 kaum jemandem davon begeistert.
Korngold zählt für mich zu den großen, völlig unterschätzten Komponisten.
Nach seiner New Yorker Premiere wurde das Violinkonzert in der New York Times als "Hollywood Concerto" abgetan. Korngolds Musik schien, spätromantisch-tonal wie sie nun mal war, schon einer "Welt von Gestern" anzugehören. Heute allerdings gilt das Werk als eines der ganz großen Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts, ganz anders als die Meisterwerke von Berg, Strawinsky oder Bartók, und doch mit seinen süchtig machenden Melodien, seiner tiefen Originalität und seinem mitreißenden Schwung würdig, an ihrer Seite zu stehen. Das sieht Anne-Sophie Mutter, die das Opus gemeinsam mit André Previn einspielte, genauso: "Wer eine Ader für romantische Musik hat, kommt bei Korngold voll auf seine Kosten. Es ist Musik, die sehr wienerisch inspiriert ist. Und auf den Vorwurf, Korngold klinge wie Filmmusik, lässt sich nur antworten: Nein, irgendwann klang die Filmmusik in Hollywood nach Korngold. Wien war in seiner Musik immer um die Ecke, und insofern ist Korngold einfach seinem Stil treu geblieben und gehört für mich zu den großen, in Deutschland leider völlig unterschätzten Komponisten."
Erich Wolfgang Korngold:
Violinkonzert D-Dur, op. 35
Anne-Sophie Mutter (Violine)
London Symphony Orchestra
Leitung: André Previn
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Das starke Stück" am 18. Mai 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK