Beethovens berühmte Klaviersonate "Appassionata" in f-Moll ist nicht nur ganz allgemein sehr populär: Auch wahre Beethoven-Kenner lieben und fürchten sie. Warum, das erfahren Sie von dem Pianisten Michael Korstick. Julika Jahnke hat mit ihm gesprochen.
Bildquelle: Wikimedia
Die Sendung zum Anhören
Wien, im Jahr 1804. Beethoven arbeitet an seiner Oper "Leonore", die später einmal "Fidelio" heißen wird. Aber seine Skizzenbücher zeigen: Nebenbei fesselt ihn auch noch eine Klaviersonate. Heute ist dieses Opus 57 unter dem Namen "Appassionata" bekannt. Sie gehört zu seinen populärsten. Vollendet hat Beethoven sie wahrscheinlich zwei Jahre später, im Jahr 1806, im ungarischen Schloss Martonvasar. Und hat sie dem jungen Schlossherren dort gewidmet, Graf Franz von Brunsvik. Vielleicht hat dieser Aufenthalt den leidenschaftlichen Gestus des Werkes ja noch beflügelt. "Er wollte wirklich einen Sturm entfalten in dem Stück", erklärt der Pianist Michael Korstick. "Was natürlich nicht heißt, dass man sich gehen lässt. Also das Faszinierende daran ist dieses Spannungsfeld zwischen dem Sich-Wegwerfen und die Kontrolle behalten auf der anderen Seite. Und wenn dieses Spannungsfeld stimmt, dann überträgt sich das sehr direkt auf den Hörer."
Für den Pianisten ergibt sich hier jedenfalls die kniffelige Aufgabe, seine Emotionen am Klavier gekonnt zu zügeln. Das zeigt sich schon im ersten Satz, dessen Herausforderungen Michael Korstick wie folgt erklärt: "Es handelt sich trotz der Tatsache, dass es wie ein großes romantisches Charakterstück klingt, um einen Sonatensatz in der klassischen Struktur. Sie müssen einerseits die größte emotionale Gespanntheit erzielen und andererseits die Struktur vollkommen klarmachen, in dem Sie das Tempo immer in der Hand halten."
Graf Franz von Brunsvik, Widmungsträger der "Appassionata" | Bildquelle: picture-alliance/akg "Leidenschaftlich-düster", dieses Prädikat erhielt die Sonate oft in den Konzertführern. Darüber mag man streiten. Nicht aber über das unbändige Temperament, das sie verströmt. Und temperamentvoll? Das war Beethoven ganz bestimmt. Der Fürst Lichnowsky bat den Komponisten, vor französischen Offizieren zu musizieren. Im September 1806, vor der Schlacht von Jena. Beethoven war empört und ergriff die Flucht, das frisch vollendete Manuskript der "Appassionata" im Gepäck. Unterwegs durchtränkte ihn ein Platzregen, und auch das Manuskript wurde nass. Zurück in Wien schenkte er das ramponierte Manuskript der Pianistin Marie Bigot, die sehr gern daraus spielte.
"Das starke Stück - Musiker erklären Meisterwerke" gibt es auch als Podcast: Jetzt abonnieren!
Auf diese Weise steckt das Leidenschaftliche selbst schon in der Geschichte der Sonate. Doch der Name "Appassionata" passt für Michael Korstick auch musikalisch ganz genau: "Es kann durchaus sein, dass Beethoven gar nicht darauf gekommen wäre, und der Titel ist ja auch erst nach Beethovens Tod entstanden. Interessanterweise war das eine vierhändige Bearbeitung der Sonate, die in Hamburg erschienen ist. Und der Verleger hat einen passenden Titel gesucht, um die Verkäufe anzukurbeln. Und da ist er wirklich auf Gold gestoßen."
Plötzlicher Szenenwechsel: Aus den stürmischen Wogen des ersten Satzes ins lyrisch-entrückte Klangspiel des "Andante". Ein schlichtes choralartiges Thema wird viermal variiert. Trotz dieser Variationsabschnitte erscheint der Satz wie aus einem Guss. "Gerade in der 'Appassionata' ist es so, dass er über die normale Variation weit hinausgeht", sagt Michael Korstick. "Er ahnt da ein bisschen schon die romantische Charaktervariation voraus. Also ich finde das faszinierend."
Da trifft eine kompositorisch-konstruktive Welt auf ein emotionales Chaos.
Michael Korstick | Bildquelle: Marion Koell / PR Was für Michael Korstick die Sonate so spannend macht, ist, dass sie zum einen eine ganz klare Botschaft hat, die jeder versteht. Auf der anderen Seite hält das musikalische Geschehen permanent Überraschungen bereit. Besonders der dritte Satz, das Finale: "Da trifft eine kompositorisch-konstruktive Welt auf ein emotionales Chaos. Nichts folgt hier den Regeln. Ein ganz interessantes Detail, was die ganze Sonate betrifft ist, dass keine einzige Phrase schulmäßig zu Ende geführt wird. Entweder es passiert eine unerlaubte harmonische Rückung. Oder die Phrase reißt ab oder sie wird durch brutale Akzente unterbrochen. Es hat so einen Charakter des permanent zerstörerischen irgendwo. Und ich denke, dass sich das sehr gut auf den Zuhörer überträgt. Denn man spürt das ja. Man hat eine Erwartungshaltung und man wird aus dieser Erwartungshaltung alle acht Takte wieder herausgerissen. Durch einen elektrischen Funken."
Als Beethoven die "Appassionata" schrieb, war er auf dem Höhepunkt seiner kompositorischen Fähigkeiten. Deshalb ist die Sonate auch "die Hölle, zu spielen", wie sich Michael Korstick ausdrückt. "Er hat buchstäblich technisch alle Register gezogen. Und das macht die Sache natürlich ungeheuer schwer, das ist ganz klar. Weil die Sonate ist ja nicht so sehr vom Klavier her gedacht, sondern in der Klangmassierung beinahe orchestral konzipiert ist. Und das bedeutet, dass man in vielen Punkten an die Grenzen gehen muss, um das zu realisieren. Genau da liegen die Schwierigkeiten."
Ludwig van Beethoven:
Klaviersonate Nr. 23 f-Moll, op. 57 "Appassionata"
Michael Korstick (Klavier)
Label: Oehms Classics
Sendung: "Das starke Stück" am 19. Januar 2020, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK