Unter den polnischen Komponisten des 20. Jahrhunderts ist Witold Lutosławski einer der bedeutendsten. Sein musikalisches Schaffen repräsentiert wesentliche ästhetische Strömungen seines Jahrhunderts. Ein Hauptwerk der 50er Jahre ist das "Konzert für Orchester" bereits bei der Uraufführung gefeiert und heute ein etablierter Meilenstein im Konzertrepertoire großer Symphonieorchester.
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Das starke Stück
Lutoslawski - Konzert für Orchester
Warschau 1950: Der Krieg ist vorbei, die deutsche Besatzung Vergangenheit. Das Land ist befriedet, die Grenzen seit der Potsdamer Konferenz neu geregelt. Polen ist jetzt Volksrepublik. Endlich ruhigere Zeiten für den Komponisten Witold Lutosławski. Doch auch die Nachkriegsjahre bringen für Lutosławski, der in Warschau Mathematik und Komposition studiert hat, nicht die erhoffte Entspannung. Polen ist jetzt eine kommunistische Diktatur, steht unter der rigorosen Kontrolle des übermächtigen sowjetischen Nachbarn. Josef Stalin gibt den Ton an - auch in der Kunst. Lutosławski verweigert den Gehorsam, schreibt zwischen 1950 und 1954 sein "Konzert für Orchester" in drei Sätzen - keine brave Musik zum Gefallen. Musik, die auch ein halbes Jahrhundert später noch aufrüttelt.
Von Beethoven und Mozart zu lernen, alte Formmodelle mit neuen Inhalten zu füllen - für Lutosławski ist das nicht reaktionär und traditionalistisch, sondern künstlerisches Bedürfnis, kompositorische Notwendigkeit. Sich abzusetzen, um Eigenes schaffen zu können, aber auch. Frank Reinecke erklärt sich so die Wahl des auf den ersten Blick paradoxen Titels: Konzert für Orchester. Dass Witold Lutosławski ganze 4 Jahre an seinem 30-minütigen, groß besetzten Orchesterkonzert komponiert, sagt etwas über den Stellenwert des Stücks und zugleich über das äußerst selbstkritische, fast skrupulöse Wesen des polnischen Komponisten.
Schlüsselideen für das Konzert für Orchester findet Lutosławski in der Folklore seiner Heimat - der Ungar Béla Bartók wird nicht zufällig in den Nachkriegsjahren zum großen künstlerischen Vorbild für den jungen Polen. Es sind Motive aus der masurischen Volksmusik, die Lutosławski im Konzert für Orchester formvollendet mit seiner eigenen Musiksprache verknüpft. Die hat sich selbstbewusst entwickelt, konfrontiert lustvoll und originell Tonalität und Atonalität.
1954 wird das Konzert für Orchester mit großem Erfolg in Warschau uraufgeführt. Es ist das letzte Werk, in dem sich Witold Lutosławski folkloristischer Elemente bedient, auch das letzte, das harmonisch und strukturell die Tradition reflektiert - mit ihm hat Lutosławski alles gesagt, was er in dieser Musiksprache zu sagen hatte. Zufallsklänge, die Aleatorik, wird sein zukünftiges Schaffen dominieren. Das Orchesterkonzert bleibt einzigartig: ein Werk mit Vorbildern, aber ohne Pendant.
Witold Lutosławski: Konzert für Orchester
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Mariss Jansons
Konzertmitschnitt