Ein bisschen im Schatten steht die Gattung Streichtrio ohnehin. Fest etablierte Trio-Besetzungen sind die Ausnahme. Mozarts einziges Streichtrio, das Divertimento KV 563, steht außerdem im Ruf, höllisch schwer zu sein – und das durchaus mit Recht. Kommt hinzu, dass sich in einer Trio-Besetzung keiner im Ensemble verstecken kann. So hört man diese wunderschöne Musik im Konzert viel zu selten.
Bildquelle: picture-alliance / akg
Das starke Stück zum Anhören
Wenn Mozart der Sonder- und Glücksfall unter den Komponisten ist, Gegenstand eines Staunens, das wächst, je mehr man von ihm kennt, und einer Sucht, die zunimmt, je mehr man ihr nachgibt, dann ist das Divertimento für Streichtrio ein Glücks- und Sonderfall in Potenz. Dass es so ein Stück geben würde, war und ist eigentlich gar nicht vorgesehen in einer Welt, in der rein statistisch das Mittelmaß dominiert, dominieren muss.
"Das starke Stück - Musiker erklären Meisterwerke" gibt es auch als Podcast: Jetzt abonnieren!
Das ist unglaublich vielschichtige Musik, die alle kompositorischen Ansprüche aufs Ernsthafteste erfüllt.
Der Geiger Benjamin Schmid | Bildquelle: benjaminschmid.com Man kann es auch leicht übersehen; selbst unter Kammermusikfans ist das Divertimento für Streichtrio ein Geheimtipp. Ja, es wirkt fast wie eine bewusste Tarnung, dass Mozart für ein derart experimentelles Stück den Titel Divertimento wählt - so als hätte er hier bloß ein bisschen angenehme Hintergrund-Musik für irgendwelche tafelnde Adelige zusammengestellt. Der Geiger Benjamin Schmid sagt dazu: "Mozart hat sich seinen Teil dabei gedacht. Es gibt ja von ihm die frühen Salzburger Divertimenti, das waren ja damals Unterhaltungsmusiken. Ganz anders jedoch dieses große Divertimento KV 563: Das ist unglaublich vielschichtige, sozusagen 'seriöseste' Musik, die alle kompositorischen Ansprüche aufs Ernsthafteste erfüllt."
Natürlich kann man diese Musik auch mit halbem Ohr hören, auch dann ist sie wunderschön, auch dann funktioniert sie. Aber man kann eben auch die übrige Welt ausblenden und nichts tun als zuhören, so aufmerksam, so oft und so genau man will – die einzige Grenze dabei ist, dass das Stück, auch wenn man alles um sich herum glücklich vergessen hat, nach einer knappen Dreiviertelstunde zu Ende ist - leider.
Bei seinem Divertimento hatte Mozart weder einen Auftraggeber noch eine Konvention, an der er sich hätte orientieren können. Das Streichtrio war keine etablierte Gattung, und ob es im Wien des Jahres 1788 überhaupt einen Cellisten gab, der diese exorbitant schwere Stimme hätte spielen wollen oder auch nur können, ist eine durchaus offene Frage. Das Divertimento für Streichtrio ist ein Experiment, das ganz auf Mozarts eigene Rechnung geht. Es ist nicht nur sein einziges Werk für diese Besetzung, es ist seine längste und vielleicht auch tiefgründigste Kammermusikkomposition überhaupt – und mit Sicherheit, was bei diesem Komponisten kein Widerspruch ist, zugleich auch eine seiner kurzweiligsten.
In seinem Streichtrio kennt Mozart keine festen Rollenverteilungen. Alle Instrumente kommen dran, jeder darf sich hier aussingen, gelegentlich auch austoben. Mal ist die Geige Begleitinstrument, mal übernimmt die Bratsche den Bass, und das Cello wird stellenweise in schwindelnde Höhen getrieben. "Es ist insgesamt ein höchst virtuoses Werk, das lange Zeit als unspielbar galt", erklärt Benjamin Schmid. "Es proben sich übrigens auch heute noch die Leute bei diesem Stück die Seele aus der Brust. Uns ist es nicht anders ergangen; es ist extrem diffizil, es ist eine Mozart'sche Virtuosität im besten und höchsten Sinn."
Der Geiger Benjamin Schmid | Bildquelle: Julia Wesely Sechs Sätze hat das Divertimento. Das Ganze wird eingerahmt von zwei schnellen am Beginn und am Schluss, dazwischen stehen zwei langsame Sätze, jeweils gefolgt von einem Menuett. Der dritte Satz zum Beispiel, das erste Menuett, verschiebt den Schauplatz ins Freie. Ein Zwiefacher wird da getanzt. Der vierte Satz, ein Andante mit Variationen, schickt ein scheinbar simples Thema durch Himmel und Hölle. Anschließend, im zweiten Menuett, hört man Hornquinten und typische Jagdmotive. Für Geiger Benjamin Schmid ist dieses Divertimento bis hin zum Finale ein Achttausender der Kammermusik – vergleichbar nur mit dem Schubert-Quintett oder den späten Beethoven-Quartetten. Die Metapher vom Achttausender hat übrigens einen ganz konkreten Hintergrund, sagt Schmid: "Die Streichtrios waren für mich eine Erfahrung, die ich zum ersten Mal in einer Ski- und Kammermusikwoche als Jugendlicher machen durfte. Wir sind den ganzen Tag Ski gefahren und haben die ganze Nacht Kammermusik gemacht. Irgendwann war auch mal dieses Divertimento dabei, und wir haben es zu dieser sehr, sehr späten Stunde kaum fassen können, welches Glück uns da zuteilwird, dass diese Musik existiert."
Wolfgang Amadeus Mozart - Divertimento Es-Dur, KV 563
Benjamin Schmid (Violine)
Antoine Tamestit (Viola)
Jan Vogler (Violoncello)
Label: Sony Classical