Im Jahr 1785 muss Wolfgang Amadeus Mozart wohl im Mehrschichtbetrieb gearbeitet haben: Sechs Streichquartette für Joseph Haydn erscheinen, die Oper "Le nozze di Figaro" ist im Entstehen, das Es-Dur Klavierkonzert geistert in seinem Kopf herum, die "Maurerische Trauermusik" schreibt er nieder und das erste Klavierquartett in g-Moll KV 478 erscheint. Sylvia Schreiber stellt das Werk zusammen mit dem Pianisten Christian Zacharias vor.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Die Sendung zum Anhören
"Kurz-leicht-popular" so sollte es sein, das erste Klavierquartett. "Damit es die großbürgerlichen und adeligen Dilettanten eifrig kaufen und in ihren Salons zum Besten geben". Doch Wolfgang Amadeus Mozart blieb weit hinter diesen Erwartungen seines Verlegers Franz Anton Hoffmeister zurück. Das bestellte Quartett war für den Hausmusikgebrauch viel zu anspruchsvoll.
Die Tonart g-Moll erkennt man ganz leicht, auch ohne absolutes Gehör.
Deshalb zog der Verleger, aus Sorge um sein Geld, den Auftrag zurück. Von den drei Mozart'schen Klavierquartetten, die er drucken wollte, kam nur eines bei Hoffmeister heraus. Den Vorschuss schenkte er Mozart, das zweite Quartett überließ er gönnerhaft der Konkurrenz und ein Drittes hat Mozart nie komponiert. Schon allein die Tonart des ersten Klavierquartetts verursachte beim Verleger Bauchgrimmen: g-Moll ist nicht geeignet zur Untermalung bei einem gemütlichen Diner. Der Pianist Christian Zacharias erkennt in den g-Moll-Stellen des Quartetts Ähnlichkeiten zu Paminas großer Arie in der "Zauberflöte" und fährt fort: "Wir wissen, g-Moll steht für Resignation, für Aufbegehren auch. Die Tonart erkennt man ganz leicht, auch ohne absolutes Gehör."
Das Kopfthema kommt düster aber markant daher, insbesondere das Klavier markiert seine Position als Platzhirsch. Ihm gehört das Hauptthema. Die Rolle der Streicher besteht hauptsächlich im Reagieren auf die Attacken des Klaviers. Man kann sich darum dem Eindruck eines hochdramatischen Mini-Klavierkonzertes nicht erwehren, in dem die Streichinstrumente die Aufgabe des Orchestertuttis übernehmen.
"Das starke Stück – Musiker erklären Meisterwerke" gibt es auch als Podcast: Jetzt abonnieren!
Doch dann folgt das Aufatmen: Den ungestümen allegro Satz löst ein friedliebendes Andante ab. Hier zieht Mozart elegante, entspannte Melodiebögen, die aber nicht aus lauter Harmoniesucht nach dem kraftstrotzenden Ersten Satz zum Wegschlummern verleiten, sondern die Kantilenen münden immer wieder in fröhliche Sechzehntel-Bögen. Streicher und Klavier spielen gemeinsam, schmiegen sich aneinander und übergeben sich die Themen.
Man hat zudem den Eindruck, Figaro würde kurz vorbeischauen, grüßen und wieder entschwinden. Immerhin arbeitete Mozart an der Oper fast zeitgleich zum Quartett. Christian Zacharias sagt zu dieser Musik: "Das ist im Grunde fast ein erwarteter Andante-Satz, der etwas beruhigt nach dem Tumult des Kopfsatzes. In den Klavierkonzerten ist das genauso, da kommt eine kleine Szene, die vergessen lässt, was im ersten Satz los war. Und im Quartett ist ja das Witzige, dass Mozart im Finale gar nicht mehr zum g-Moll zurückkehrt, sondern stattdessen eine Art 'Rausschmeißer' zum Schluss präsentiert."
Christian Zacharias | Bildquelle: © Felvégi Andrea Im ersten Satz stößt Mozart sein Publikum vor den Kopf mit dem aufmüpfigen Thema, doch damit nicht genug, auch im dritten Satz spart er nicht an bis dato ungehörten Spielereien, im buchstäblichen Sinne. Wieder übernimmt das Klavier die Führungsrolle, und die Streicher eifern hinterher. Doch brechen sie mal aus, wie ein unerzogener junger Hund, so weist sie das Klavier sofort wieder zurecht. Dennoch darf man die Kontraste innerhalb der einzelnen Sätze nicht überbewerten, meint Christian Zacharias: "Nach der großen Zeit der Romantik wollen wir, wenn es anfangs tragisch klingt, bis zum Ende tragisch sein. Doch das ist nicht. Was Mozart hier macht, ist ein normaler Weg, präsentiert in seiner vollen Einfallskraft. Jeder Satz ist hundertprozentig charakterisiert. Das macht wahnsinnig Spaß macht zu spielen – es ist eins der schönsten Stücke überhaupt, für jeden, der daran teilnimmt."
Auch wenn die vornehme Gesellschaft das g-Moll-Quartett nicht selbst in Hausmusiken spielen konnte – es gibt drastische Zeitzeugenberichte darüber, wie furchtbar die Laiendarbietungen geklungen haben mussten – verbreitete es sich dennoch in rasantem Tempo. Und heute steht es in der Hitliste der Mozart'schen Kammermusik weit oben. Warum? "Weil es so klar definiert ist", meint Christian Zacharias. "Das Quartett in Es-Dur zum Beispiel ist weit vielschichtiger. Doch hier weiß jeder direkt, woran er ist, und das zieht sich durchs ganze Werk. Also wenn dieses Quartett keinen Erfolg hätte, dann wüsste ich wirklich nicht mehr, was man noch schreiben soll."
Dass Mozart mit dem Quartett nicht nur die Erweiterung eines Trios um eine Bratsche schrieb, zeigt er im letzten Satz. Hier zitiert er nämlich aus dem Klavierkonzert KV 453 – zum einen die Tonart G-Dur zum anderen ganze Takte ab der Stretta. Ein Wink mit dem Zaunpfahl: "Hört her, dieses g-Moll-Quartett ist Klavierkonzert im Westentaschen-Format".
Wolfgang Amadeus Mozart:
Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello g-Moll, KV 478
Frank Peter Zimmermann (Violine)
Tabea Zimmermann (Viola)
Tilman Wick (Violoncello)
Christian Zacharias (Klavier)
Label: ANGEL
Sendung: "Das starke Stück" am 8. Juni 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK