Die Jahre 1784 bis 1788 waren für Wolfgang Amadeus Mozart wohl die geschäftigsten und erfolgreichsten Jahre seines Lebens. Diese Zeit beflügelte offenbar auch Mozarts Phantasie, er experimentierte mit ungewöhnlichen Kammermusikformationen. Besonders neuartig war die Besetzung eines Quintetts für Klavier und Bläser. Frei von Gattungstraditionen gelang ihm damit ein kongenialer Wurf. Miriam Stumpfe hat sich über dieses Starke Stück mit dem Oboisten Hans-Jörg Schellenberger unterhalten.
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Das starke Stück zum Anhören
Klavier und Bläser: Im Jahr 1784, als Mozart sein Klavierquintett komponiert, gehören diese Instrumente verschiedenen Welten an. Das Klavier brilliert bei musikalischen Akademien als Soloinstrument mit Konzerten oder Sonaten. Die vier Bläser, also Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, bilden – paarweise verdoppelt, als Bläseroktett – die klassische Besetzung einer Harmoniemusik, liefern leichte musikalische Kost für Gartenkonzerte oder Feste. Mozart bringt diese Welten im Es-Dur-Quintett zusammen. Eine Neuheit.
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"Von pianistischer Seite aus gesehen, ist es eindeutig ein Klavierkonzert", sagt der Oboist Hansjörg Schellenberger. "Die Pianisten sagen alle, es ist mindestens so schwer wie Klavierkonzerte von Mozart – nur, dass die Bläser noch hinzu kommen und in ähnlicher Intensität noch Musik dazu liefern. Das ist ein ganz hochkonzentriertes und musikalisch dichtes Stück." Hans-Jörg Schellenberger sieht viele Parallelen zu Mozarts Klavierkonzerten. Die Form zum Beispiel entspricht auch dem typischen Solokonzert: ein Sonatenhauptsatz als Eröffnung, ein sangliches Larghetto und dann, als Rausschmeißer, ein Rondo.
Das ist ein ganz hochkonzentriertes und musikalisch dichtes Stück.
Doch diese Nähe zu den Konzerten heißt längst nicht, dass das Klavier immer die Nase vorn hat, und die Bläser als Mini-Orchester "nur" begleiten. Im Gegenteil, betont Schellenberger: "Ich sehe mich mit meinem Instrument als Partner auf Augenhöhe, musikalisch gesehen. Der Pianist hat auf technisch-pianistischer Ebene einen anspruchsvollen Part. Umgekehrt spielen die Bläser in den Klavierkonzerten eine ganz herausgehobene Rolle – gerade in den Konzerten, die in Nachbarschaft zu dem Quintett entstanden sind, zum Beispiel KV 453 und KV 459."
Hansjörg Schellenberger | Bildquelle: Gerhard Winkler Mozarts Klavierquintett erklärt den Dialog zwischen den Instrumenten zum Prinzip. Selten übernimmt ein Instrument länger als zwei Takte lang die Führung. "Es ist ein unglaublich dichtes Musizieren auf kammermusikalischer Ebene", erklärt Hansjörg Schellenberger. "Zwischen Bläsern und Klavier findet unentwegt ein Gespräch statt – also hinspielen, übernehmen, zurückspielen, wieder übernehmen, anders weitergeben. Das sind ganz große Momente... Hinzu kommt: Das Stück hat eine in sich unglaublich geschlossene Sprache." Vier Bläser und ein Klavier – Mozart bringt zwei Welten zusammen und schafft einen kammermusikalischen Kosmos, in dem jedes Instrument seinen besonderen Charakter ausspielen kann. Dazu Hansjörg Schellenberger: "Was ich zu spielen habe, ist zu 100 Prozent genuin oboistisch; auf melodischer Ebene ist diese Musik ideal fürs Instrument komponiert. Das Gleiche für die Klarinette, fürs Fagott und fürs Horn: Die Instrumente sind ideal eingesetzt. Das ist Mozarts große Stärke: ein traumwandlerisches Empfinden, was die Instrumente optimal zum Klingen bringt."
Den Farbenreichtum nutzt Mozart auch, um harmonische Zaubereien zur Geltung zu bringen, am berückendsten wohl im 2. Satz, dem Larghetto: "Es gibt da kompositorische Mittel, die Mozart in einer Weise beherrscht, die man nirgendwo anders findet – wo ein einziger kleiner anderer Ton zu einem solchen Zauber führt", sagt Schellenberger dazu. "Zu analysieren ist das leicht, aber warum eine solche Wirkung entsteht, das liegt sich an der Mischung der Klangfarbe, am Verlauf der Instrumente, und letzten Ende am Timing. Dieses Nicht-Wissen wo es hingeht und dann plötzlich ausbrechen, das ist ein ganz typisches Mozart-Phänomen."
Mit seinem Quintett für Klavier und Bläser als Besetzung hat Mozart wenige Nachahmer gefunden. Beethoven schrieb in seinen jungen Jahren ein Klavierquintett und lehnte sich eng an Mozart an. Auch Komponisten wie Ignaz Pleyel, Franz Danzi oder Heinrich von Herzogenberg versuchten sich in dieser Gattung, aber wirklich etabliert hat sie sich nicht. Die Dichte des Dialogs, die harmonische Magie, der nuancenreiche Einsatz der Instrumente – damit waren die Maßstäbe hoch gesetzt. Das merkte übrigens auch Mozart: Er bezeichnete sein Klavierquintett im Entstehungsjahr 1784 als das Beste, was er bis dahin geschrieben habe.
Wolfgang Amadeus Mozart:
Quintett für Klavier und Bläser KV 452
Ensemble Wien-Berlin:
Schellenberger, Hansjörg (Oboe)
Leister, Karl (Klarinette)
Högner, Günter (Horn)
Turkovic, Milan (Fagott)
mit: James Levine (Klavier)
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Das starke Stück" am 28. Mai 2019, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK