Sie ist quasi auf der Durchreise entstanden, in aller Eile komponiert, die Symphonie Nr. 36. In Linz - als Mozart auf dem Heimweg von Salzburg nach Wien für drei Wochen dort Station machte. Daher der Beiname "Linzer Symphonie". Florian Heurich hat sich mit dem Dirigenten Ivor Bolton über dieses Werk unterhalten.
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"Dienstag als den 4. November werde ich hier im theater academie geben. – und weil ich keine einzige Simphonie bey mir habe, so schreibe ich über hals und kopf an einer neuen, welche bis dahin fertig seyn muß." So schrieb Mozart am 31. Oktober 1783 an seinen Vater, und nur wenige Tage später war das Werk vollendet und konnte pünktlich aufgeführt werden. "Ich finde, man erkennt in diesem Stück trotzdem eine Flüssigkeit und eine ganz klare Intention", begeistert sich der Dirigent Ivor Bolton über das Werk. "Ich spüre hier in keiner Weise Eile oder Hast. Alles ist natürlich und flüssig. Aber auch die meisten von Mozarts Opern wurden ja in High-Speed-Tempo geschrieben, und niemand moniert das. Er war sehr fokussiert und brillant, auch wenn er unter Druck liefern musste. Ich liebe die Konstruktion der Ecksätze. Der Kopfsatz hat ein so atemberaubendes erstes Thema. Es treibt voran und regt einen sehr ambitionierten musikalischen Dialog an. Das mag ich sehr. Das Material ist eigentlich einfach. Nicht unbedingt kantabel, aber rhythmisch sehr raffiniert. Und ich liebe den letzten Satz, dem etwas Himmlisches und Erhabenes anhaftet. Deshalb ist dieses Werk für mich eine der großartigsten Symphonien von Mozart."
In der Linzer Symphonie arbeitet Mozart weit mehr melodisch als motivisch.
Schon die Einleitung ist originell. Ein langsames, heroisches Adagio, bevor das vorwärtstreibende und lebhafte "Allegro spiritoso" in C-Dur beginnt. Es ist das erste Mal, dass Mozart eine Symphonie in getragenem Tempo anfangen lässt. Sein Gespür für Theatralik zeigt sich auch in diesem symphonischen Werk: Mit großer Geste baut er Spannung auf und kippt dann plötzlich in die Leichtigkeit. "Die Linzer und auch die Prager Symphonie haben besonders schöne Cantabili", erläutert Ivor Bolton. "In dieser Zeit hat Mozart zu einem großartigen Gespür für Melodie gefunden, gerade in den langsamen Sätzen. Die Symphonien zum Beispiel, die sechs oder sieben Jahre früher entstanden sind, waren noch viel rhetorischer und einfacher konzipiert. Symphonien wie die Linzer hingegen entfalten ein ganz unmittelbares Cantabile. Hier arbeitet Mozart weit mehr melodisch als motivisch."
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Der Dirigent Ivor Bolton | Bildquelle: picture-alliance/dpa So hat das Adagio des zweiten Satzes etwas Pastoral-Friedvolles. Trompeten und Pauken, die Mozart bisher noch nie in einem langsamen Satz verwendet hat, bringen aber auch tragische Akzente in dieses Idyll. Am Ende kehrt die Ruhe zurück. Kein kleines Glück jedoch, vielmehr ein feierlicher, erhabener Frieden. Auf das pastorale Idyll folgt der Tanz. Ein festliches Menuett mit volkstümlichen Einsprengseln. Dazu sagt Ivor Bolton: "Es geht in Richtung eines Ländlers. Ein robustes Stück. In Mozarts späten Symphonien sind solche Sätze immer einfach und direkt. So ein dichter Rhythmus ist typisch für die Menuette in diesen späten Symphonien. Zum ersten Mal habe ich die Linzer Symphonie dirigiert, als ich noch Student in Cambridge war. Das ist schon lange her. Und von da an hat mich dieses Werk mein Leben lang begleitet, vor allem während meiner Zeit in Salzburg mit dem Mozarteum Orchester. Dort gehört es natürlich zum Stammrepertoire."
Gemeinsam mit dem Mozarteum Orchester hat Ivor Bolton die Linzer Symphonie oft aufgeführt und auch aufgenommen. Dabei hat er ein Klangbild geschaffen, das dem Orchesterklang zu Mozarts Zeiten sehr nahe kommen sollte. "Wir haben hart daran gearbeitet, etwas zu kreieren, das man eine Klangwelt des 18. Jahrhunderts nennen könnte", erläutert der Dirigent. "Etwa durch ein nur gezielt als Stilmittel und nicht durchgängig eingesetztes Vibrato. Zum Beispiel haben wir haben auch historische Trompeten verwendet. Dadurch wird nicht nur eine besondere Farbe erzeugt, sondern auch ein besonderes Verhältnis zwischen den Blechbläsern und andererseits den Holzbläsern und den Streichern."
Das Ende des Symphonie wirkt wirklich überwältigend.
Die "Linzer" zählt bereits zu Mozarts letzten Symphonien - nur noch fünf weitere sollten folgen. Stilistisch ist hier schon vieles angedeutet und sogar ausgereift, was dann sein Spätwerk ausmachen wird, insbesondere im Finalsatz: "Hier wird eine riesige Architektur entworfen, um alles Material zusammenzuführen", sagt Ivor Bolton. "Das Ende wirkt wirklich überwältigend. Ich finde es besonders bewegend, wenn die Gegenmelodie plötzlich im Bass auftaucht. Die Struktur ist hier sehr genau gearbeitet. Die Verteilung der Akkorde ist absolut virtuos. Was die Orchestrierung und die Wahl der Instrumente betrifft, ist die Linzer Symphonie für mich ein absolut tiefgründiges Werk."
Wolfgang Amadeus Mozart: Symphonie Nr. 36 C-Dur KV 425 ("Linzer Symphonie")
Mozarteum Orchester Salzburg
Musikalische Leitung: Ivor Bolton
Label: Oehms Classics
Sendung: "Das starke Stück" am 03. Oktober 2017, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK